Wirtschaftswoche / 08.10.2022 von Thomas Stölzel
WIRTSCHAFT VON OBEN #179 – IRANS KOHLERESERVEN
Glück auf? Die Mullahs kommen
Die Öl-Nation Iran verkauft künftig große Mengen
Kohle an Pakistan – wohl auch, um den Einfluss im Nachbarland zu stärken, das als US-Verbündeter gilt. Und in der
iranischen Kohle steckt noch eine Überraschung, die sich das Land zunutze machen will: Erdgas.
Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO
Eine der Parvadeh-Kohleminen aus der Nähe. Der Abbau des wertvollen Brennmaterials findet hier in Bergwerksstollen unter Tage statt.
(Foto: LiveEO/Maxar/GoogleEarth)
...
So zeigen
Satellitenaufnahmen von
LiveEO, wie das Land die
Kohleminen in der iranischen
Tabas-Region deutlich erweitert. Und während Flüssigerdgas (LNG) kaum noch in Pakistan ankommt, was dort eine schwere Energiekrise ausgelöst hat, springen nun die Mullahs dem Nachbarland als Retter zur Seite.
Das ist nicht alles. Aus den
Kohleflözen im Untergrund will das staatliche Bergbaukonglomerat Imidro künftig auch noch große Mengen unkonventionelles Erdgas ziehen. Das
schwarze Brennmaterial entpuppt sich so als
strategische Stärke für die Machthaber in Teheran.
Zurzeit produziert der Iran zwischen
1,6 und
1,9 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr. Damit ist das Land anders als bei Öl und Gas im weltweiten Vergleich zwar kein Schwergewicht. Von
Ägypten abgesehen ist der
Iran aber der einzige Staat in der Region, der über nennenswerte
Kohlevorkommen verfügt. Auf ungefähr
drei Milliarden Tonnen werden die aktuellen Reserven iranischen Medien zufolge geschätzt.
Vor allem seit die
Energiepreise weltweit durch den
Ukrainekrieg und die nach der Coronapandemie anziehende Nachfrage steigen, ergibt sich für die Mullahs eine
neue Einnahmequelle. Aktuelle Satellitenbilder zeigen, dass das Regime gut vorbereitet ist. Den Abbau in der wichtigsten Kohlelagerstätte des Landes, rund um die kleine Stadt Tabas, hat der Betreiber in den vergangenen Jahren deutlich
erkennbar erweitert.
In der
Minenzone Mazino etwa, rund 80 Kilometer südwestlich von
Tabas, sind allein in den vergangenen sieben Jahren fünf neue Steinkohletagebaue herangewachsen. Laut Global Energy Monitor lagern hier etwa
1,5 Milliarden Tonnen Reserve.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Ähnlich sieht die Entwicklung 60 Kilometer östlich aus, in der Parvadeh-Zone, wo Kohle
unterirdisch abgebaut wird. Hier kamen
Zugänge in die
Bergwerke hinzu, in denen das fossile Gestein nun gewonnen wird. Vor allem im
Osten des
Areals.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Auf den Bildern ist das vor allem am schwarzen Kohlestaub auf dem kargen Wüstenboden und an den Gebäuden zu erkennen, die an jenen Stellen entstanden sind. Das gewaltige aus mindestens
vier Teilen bestehende
Kohlebergwerk erstreckt sich inzwischen über eine Länge von fast
30 Kilometern. Insgesamt sollen hier Reserven von mehr als
einer Milliarde Tonnen Kohle lagern. Das unterirdische Kohleflöz hat einer Studie der britischen Universität Exeter zufolge eine Dicke von einem halben bis zwei Metern.
In den vergangenen Jahren hat der Iran sich damit vor allem selbst versorgt, um etwa seine Stahlindustrie am Laufen zu halten. Die Sanktionen der USA und von Europa verhinderten, dass westliche Länder bestimmte Stahlerzeugnisse an den Iran liefern. Die Metallindustrie des Landes gilt auch daher als äußerst wichtig für das Regime.
...
Zuletzt waren die Kohleexporte des Iran deutlich zurück gegangen. Von etwas mehr als 200.000 Tonnen im Jahr 2018 auf gerade mal 61.000 Tonnen im Jahr 2020. Das will die Regierung in Teheran nun ändern. Nach Angaben der iranisch-pakistanischen Handelskammer wird der Iran künftig eine
halbe Million Tonnen Kohle pro Jahr in das Nachbarland
Pakistan exportieren.
Das steckt zurzeit aufgrund der enorm gestiegenen Energiepreise und einer Flutkatastrophe, die große Teile der Energieinfrastruktur zerstört hat, in einer beispiellosen Energiekrise. LNG-Lieferanten haben zudem offenbar ihre Terminverträge mit Pakistan aufgekündigt, um ihr Gas lieber nach Europa zu liefern, wo sie zurzeit größere Margen erzielen können. So dürfte sich die dramatische Situation in Pakistan im Winter noch verschärfen.
Was für Pakistan und seine Bevölkerung ein Drama ist, ist für die Mullahs ein Segen. Die steigenden Energiepreise machen sogar eine bisher nicht genutzte Energiequelle interessant. Sogenanntes
Kohlebettmethan. Das ist nichts anderes als Erdgas, das nicht wie gewöhnlich in Sandstein oder Schiefer eingelagert ist, sondern in
Kohleflözen.
Satellitenaufnahmen zeigen, dass in der Parvadeh-Gegend südlich der Mineneingänge in den vergangenen Jahren zahlreiche Wege gezogen wurden, mutmaßlich für die Exploration. Einer aktuellen Studie der iranischen
Yazd-Universität zufolge wurden in dem Areal rund
40 Probebohrungen gemacht, auf der Suche nach ausbeutbaren Gasvorkommen.
Das Ergebnis:
Das Kohleerdgaspotenzial ist groß. Die Wissenschaftler schätzen, dass allein an dieser einen Stelle mindestens
1,39 Milliarden Kubikmeter förderbar sind. Zwar lagern die weltweit
größten Kohleflözmethan-Reserven einer kanadischen Studie zufolge mit
49 Billionen Kubikmetern in den
USA. In Russland sollen es
48 Billionen Kubikmeter sein und in China
37 Billionen.
Für die Gegend ist selbst die im Vergleich kleine Menge dennoch eine Sensation. Im Zentraliran gibt es nämlich anders als etwa am Persischen Golf
keine klassischen Erdgasvorkommen. Zudem empfehlen die Wissenschaftler, nun auch die anderen
Kohleflöze in der
Tabas-Region nach dem Gas zu untersuchen.
Um das Kohlemethan zu fördern, muss der staatliche Bergbaukonzern Imidro es per Fracking aus dem Kohlegestein lösen und abpumpen. Das hätte auch für den
Kohleabbau später
Vorteile. Denn
Methan kann sich als gefährliches Grubengas in den Bergwerken sammeln. Erst 2017 löste es in einer anderen iranischen Kohlemine eine Explosion aus, bei der Dutzende Bergleute starben. 2012 waren in den Tabas-Minen mehrere Bergarbeiter auf dieselbe Art ums Leben gekommen.
Anfang der
1990er-Jahre gab es auch in
Deutschland Bestrebungen, Kohleflözgas zu fördern. Ein Konsortium aus
Ruhrkohle AG, Ruhrgas AG und dem
US-Ölkonzern Conoco bohrte dazu
Kohleflöze im
Münsterland an. Doch die Ausbeute war zu gering. Bohrungen im
Saarland lieferten zwar etwas mehr Gas. Doch auch hier zu
wenig, um eine Förderung wirtschaftlich zu rechtfertigen.
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