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Schulz: Frau Schröter, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit dem Islam, Sie sind jetzt keine Juristin. Trotzdem die Frage: Wie finden Sie ein solches Urteil?
Schröter: Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Das eine ist die rechtliche Ebene, zu der ich nicht sonderlich viel sagen kann. Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe – und das ist in der Vergangenheit auch immer wieder so praktiziert worden, dass Ehen anerkannt worden sind, die in anderen Ländern rechtsgültig geschlossen worden sind, obwohl sie gegen unser Recht verstoßen. Jetzt stehen wir aber vor dem Problem, dass es nicht nur ganz seltene Ausnahmefälle sind, von denen keiner Kenntnis nimmt, sondern dass wir über die Flüchtlinge natürlich mit einem Phänomen konfrontiert sind, dass doch ein bisschen größere Relevanz hat. Und da kommt dann natürlich das Moment zum Tragen, ob diese Ehen und die im Ausland geschlossenen Werte und Normen, ob die bei uns eben Bestand haben sollen oder ob sie gegen den 'ordre public' verstoßen. Das heißt gegen die Werte und Rechtsnormen, die bei uns gelten. Und da würde ich relativ klar sagen: Ja, das tun sie. Wir können – obwohl das im Einzelfall vielleicht gute Gründe gibt, so etwas dann auch anzuerkennen, wir können grundsätzlich nicht Tür und Tor öffnen für die Anerkennung von Normen, die vielleicht in Syrien oder anderen Ländern gelten, aber bei uns auch einfach gegen die guten Sitten verstoßen.
Schulz: Aber jetzt hat das deutsche Recht doch etwas rechtlich geadelt, was in Deutschland eigentlich verboten ist. Was hat das für Konsequenzen? Wohin wird das führen in Deutschland?
Schröter: Ja, wenn man nicht aufpasst, werden das Präzedenzfälle und andere berufen sich darauf. Es ist ja nicht so, dass in allen Ehen die Mädchen schon 15 Jahre alt sind, wo man vielleicht noch sagen kann – naja – das ist ein Grenzfall. Ich hatte da neulich mit einem Rechtswissenschaftler eine Diskussion, der sagte: 15 – das kann man gerade noch gelten lassen – sondern wir haben ja auch Mädchen, die sind elf, die sind zwölf, die sind 13 Jahre alt. Und wo will man da die Grenze ziehen? Da denke ich, in diesem Fall müsste doch das deutsche Recht der Orientierungspunkt sein.
Schröter: Ja, es ist alles zusammen. Also religiös – es gibt Länder, die sich auf islamisches Recht berufen und eine bestimmte Interpretation des islamischen Rechts für sich in Anspruch nehmen. Und da verweist man auf das Leben Mohammeds als Vorbild für alle Muslime. Und Mohammed hat ja selber eine Minderjährige geheiratet. Und das ist der Grund, weshalb in vielen muslimisch geprägten Ländern die Heirat von Minderjährigen, zum Teil von Mädchen ab neun Jahren, durchaus als legitim gilt. Das wäre die religiöse Komponente. Auf der kulturellen und sozialen Ebene, versucht man Mädchen möglichst schnell, sobald sie in die Pubertät kommen, zu verheiraten, weil sie dann sicher ist - vor einem Ehrverlust.
Das heißt, wir haben jetzt durch die Flüchtlinge aus Syrien aber auch aus anderen Ländern, sind wir zunehmend damit konfrontiert, dass wir sehr junge Ehepaare haben und dass wir auch Mädchen haben, die zum Teil an sehr viel ältere Männer verheiratet worden sind. Nicht nur übrigens als Erstfrau. Wir haben ja genau das Problem auch, ob wir Zweitehen anerkennen, oder Drittehen möglicherweise, was auch durch die Globalisierung unserer Gesellschaft jetzt auf uns zukommt.
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Topçu: Ich weiß nicht, ob man von einem Fehler sprechen sollte. Ich mag mir das Urteil nicht zueigen machen. Ich beobachte es und frage mich, ob es Sinn macht. Von beiden Seiten ist das nicht gut durchdacht. Sowohl die Gastgeber als auch die Gäste sind sich nicht der Wirkung bewusst. Es wird immer gesagt: "Das soll den Dialog fördern und Muslime und Nicht-Muslime zusammenführen". Die Frage ist: Ist das tatsächlich der Ort, um den Dialog zu fördern? Und was löst das bei denjenigen aus, die so kritisch den Muslimen und dem Islam gegenüber eingestellt sind? Führt es dazu, dass sie mehr Verständnis für Muslime in diesem Land haben? Ich wage das zu bezweifeln und stelle fest, dass es keine Wirkungsanalysen darüber gibt, wie sich dieses öffentliche Fastenbrechen oder diese Einladungen tatsächlich auswirken.
Topçu: Hier in Deutschland ist der soziale Druck gestiegen, auch unter den Schülern. Wir mir erzählt wird, gibt es - neudeutsch gesagt - ein Dissen, wenn muslimische Klassenkameraden nicht fasten. Genauso geht das auch mit dem Kopftuchtragen. Wie sehr der soziale Druck da ist, habe wir am Wochenende in der Türkei erlebt, wo eine Gruppe von jungen Menschen angegriffen wurde, die in einem Musikladen nicht gefastet und Bier getrunken hat. Das ist schon sehr extrem geworden.