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Die Vorstellung, dass es in Afrika südlich der Sahara keine Hochkulturen gegeben habe, ist ein lange widerlegtes und koloniales Klischee. Tatsächlich gab und gibt es eine Fülle von mächtigen Reichen, Königreichen und städtischen Zivilisationen mit komplexer sozialer Organisation, beeindruckender Architektur, Kunst und Wissenschaft.
Der Begriff "Hochkultur" selbst ist problematisch, da er oft eurozentristisch geprägt ist und Kulturen nach Kriterien bewertet, die nicht universell gültig sind. Wenn wir jedoch unter "Hochkultur" große, komplexe, staatlich organisierte Gesellschaften mit städtischen Zentren, Monumentalarchitektur, Schrift oder ausgefeilten Aufzeichnungssystemen und spezialisierten Handwerkern verstehen, dann gab es in Schwarzafrika zahlreiche Beispiele.
Hier sind einige der bedeutendsten und bekanntesten:
Westafrika
Reich von Ghana (ca. 9. bis 13. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seinen immensen Reichtum an Gold. Es kontrollierte die Transsahara-Handelsrouten und war als "Land des Goldes" bekannt. Der Titel seines Herrschers, Ghana, wurde zum Namen des Reiches und später des modernen Staates.
Reich von Mali (ca. 13. bis 17. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine legendären Herrscher, insbesondere Mansa Musa, der als einer der reichsten Menschen der Geschichte gilt. Seine Pilgerreise nach Mekka destabilisierte durch seine immense Goldverschwendung vorübergehend die Wirtschaft Ägyptens. Das Reich förderte Kunst, Bildung und Islamwissenschaft. Die berühmte Universität von Timbuktu war ein Zentrum des Lernens.
Songhaireich (ca. 15. bis 16. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Es war eines der größten afrikanischen Reiche der Geschichte. Es hatte ein stehendes Heer, eine Marine auf dem Niger und eine zentralisierte Bürokratie. Die Städte Timbuktu und Djenné blühten als Zentren des Handels und der islamischen Gelehrsamkeit.
Königreich Benin (ca. 11. Jahrhundert bis 1897 n. Chr.)
Bekannt für: Seine außerordentliche Kunst, insbesondere die Benin-Bronzen (eigentlich aus Messing gegossen). Diese detailreichen Plaketten und Skulpturen gehören zum künstlerisch Wertvollsten, was je auf dem afrikanischen Kontinent geschaffen wurde. Die Hauptstadt Edo (heute Benin City) war von gewaltigen Mauern umgeben.
Oyo-Reich (ca. 14. bis 19. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine militärische Stärke, besonders seine Kavallerie. Es war eine bedeutende Macht der Yoruba und kontrollierte weite Teile des heutigen Südwest-Nigerias.
Ostafrika und das Horn von Afrika
Königreich Aksum (ca. 1. bis 7. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine monumentalen Stelen (Obelisken), die als Grabmale dienten. Aksum kontrollierte den Handel zwischen dem Römischen Reich und dem alten Indien, prägte eigene Münzen und war eines der ersten großen Reiche, das das Christentum annahm. Es liegt im heutigen Äthiopien und Eritrea.
Königreich Äthiopien (Nachfolger von Aksum, bis ins 20. Jahrhundert)
Bekannt für: Seine lange, ununterbrochene dynastische Geschichte und seine einzigartige christliche Kultur. Die Felsenkirchen von Lalibela, die im 12. Jahrhundert aus dem Fels gemeißelt wurden, sind ein architektonisches Weltwunder.
Swahili-Kultur (ab ca. 8. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Ihre Handelsstädte entlang der Küste Ostafrikas (z.B. Kilwa, Sansibar, Mombasa). Diese Städte waren blühende Zentren des Handels zwischen dem afrikanischen Binnenland, Arabien, Persien, Indien und China. Sie entwickelten ihre eigene Sprache (Kiswahili) und eine einzigartige afro-arabische Kultur.
Zentral- und Südliches Afrika
Königreich Kongo (ca. 14. bis 19. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine komplexe staatliche Organisation mit einer Hauptstadt (M'banza-Kongo), einem ausgedehnten Steuersystem und einer zentralisierten Autorität unter einem König (Manikongo). Es hatte früh Kontakt mit den Portugiesen.
Groß-Simbabwe (ca. 11. bis 15. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine gewaltigen Steinmonumente, darunter der berühmte elliptische Tempel. Es war das Zentrum eines großen Handelsreiches, das Gold, Elfenbein und Kupfer exportierte. Der Name "Zimbabwe" bedeutet "Steinhäuser" in der Shona-Sprache.
Königreich der Mutapa (Nachfolger von Groß-Simbabwe, 15. bis 18. Jahrhundert n. Chr.)
Bekannt für: Seine Kontrolle über die Goldminen und Handelsrouten, die bereits von Groß-Simbabwe etabliert wurden.
Weitere wichtige Aspekte:
Wissenschaft und Bildung: Die Universität von Timbuktu (Sankore) mit ihren Tausenden von Manuskripten in Astronomie, Medizin, Recht und Philosophie ist ein herausragendes Beispiel.
Architektur: Die sudano-sahelische Architektur (z.B. die Große Moschee von Djenné) ist einzigartig und beeindruckend.
Kunst: Die künstlerischen Leistungen, von den Benin-Bronzen über die Terrakotta-Figuren der Nok-Kultur bis zur Musik und Textilkunst, sind von unschätzbarem Wert.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Die Geschichte Afrikas südlich der Sahara ist reich an vielfältigen und einflussreichen Hochkulturen. Deren Errungenschaften wurden lange Zeit heruntergespielt oder ignoriert, um koloniale Eroberungen zu rechtfertigen. Die moderne Archäologie und Geschichtswissenschaft bringt diese faszinierenden Zivilisationen immer mehr ans Licht und revidiert das veraltete Bild eines "geschichtslosen" Kontinents.