Komsomol (Wahrheit), 28.10.1990 Seite 2
E. Schirnow
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Ende der zwanziger Jahre konnte man noch alle Leichen in Moskau verscharren. Doch in Übereinstimmung mit der Theorie des Lehrers und Generalsekretärs nahm der Klassenkampf von Tag zu Tag an Heftigkeit zu; er versetzte Heerscharen frischgebackener politischer Führer in einen Zustand blutrünstiger Raserei und sorgte dafür, dass sich die Gefängnisse des NKWD mit immer neuen Opfern füllten. Die Zahl der gemäß dem Plan zur Höchststrafe Verurteilten war weit größer als das Fassungsvermögen des Dorffriedhofs von Wagankowsk. Das Friedhofskrematorium des Donskoi-Klosters musste bei der Beseitigung der Leichen mithelfen. Dann ergingen neue Anweisungen zur zusätzlichen Verbrennung Dutzender von Leichen. Man beachte, dass Auschwitz und Buchenwald damals noch nicht existierten.
Die sowjetischen Öfen erwiesen sich allerdings als unzureichend. Mit dem Übergang zur Massenvernichtung der Konterrevolutionäre mussten – abermals lange vor der deutschen Besetzung – Gräben ausgehoben werden. Dabei bemühten sich nicht nur die Kommandoabteilungen des NKWD redlich. Milizionäre und Soldaten der Kommandanturen bei den Militärgerichten beteiligten sich an den Erschießungen. Hauptmann Ignatiew, Kommandant des Militärkollegiums des Obersten Gerichtshofs der UdSSR, vollstreckte die Urteile manchmal eigenhändig, was er auf der Rückseite der Hinrichtungsbefehle auch vermerkte. Zwischen den verschiedenen zuständigen Ämtern gab es nur einen einzigen Unterschied: Manche ordneten die Anwesenheit des Staatsanwaltes sowie eines Arztes bei den Exekutionen an und andere nicht.
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Erst als die Zahl der zur Höchststrafe Verurteilten auf dreihundert pro Tag anschwoll, geriet die Tötungsmaschinerie ins Stocken. Doch auch hier fand man einen Ausweg. Die Dokumente der Ermittler in Sachen Isaj Dawidowitsch Berg, ehemaliger Chef der administrativen und wirtschaftlichen Abteilung des UNKWD Moskau, sprechen für sich und machen jeden Kommentar überflüssig.
Berg war damals Leiter der operativen Gruppe zur Vollstreckung der Beschlüsse der Moskauer UNKWD-Troika. Mit seiner Mitwirkung wurden Fahrzeuge – die sogenannten Duschegubki ("Seelentöter") - geschaffen. In diesen Fahrzeugen wurden zum Tode durch Erschießen Verurteilte abtransportiert und auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte mit Gas vergiftet.
Berg gestand, dass er die Vollstreckung von Todesurteilen mittels Fahrzeugen (Duschegubki) organisiert hatte; er begründete dies damit, dass er lediglich Anweisungen der Moskauer UNKWD-Führung ausführte und dass es angesichts der großen Zahl von Todesurteilen, welche drei dreiköpfige Richtergremien zugleich fällten, ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, die Verurteilten zu erschießen.
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