15.08.2013
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F. William Engdahl
Mit einer diplomatischen Attitüde, die eher an ein verwöhntes Kind erinnert, das seine Spielsachen zusammenrafft und aus dem Zimmer stürmt, greift US-Präsident Obama zu Brüskierung und kindischer Kritik am Verhalten Russlands, gerade so, als wäre die russische Führung ein Haufen kleiner Kinder. Bei einer Pressekonferenz beschrieb Obama Russlands Präsidenten als »gelangweiltes Schulkind, das in der letzten Bank der Klasse herumlümmelt«.
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Eine Linie im syrischen Sand
Der wirkliche Streitpunkt zwischen Washington und Moskau heute ist Syrien und alles, was hinter dieser wichtigen Stellvertreterschlacht steht. Putin hat wegen der amerikanischen Destabilisierung Baschar al-Assads in Syrien wiederholt eine klare Linie gezogen. Unter Putin hat Russland in China einen entschlossenen, wenn auch weniger lautstarken Verbündeten gefunden, beide blockieren im UN-Sicherheitsrat die Ratifizierung einer Flugverbotszone und einer militärischen Intervention gegen die Regierung von Baschar al-Assad, der zur Minderheit der Alewiten zählt. Washington favorisiert eine US-gestützte sunnitische Regierung der Muslimbruderschaft.
Putin ist dadurch zum Haupthindernis für Washingtons Projekt eines »Greater Middle East« geworden. Das Projekt, das George W. Bush erstmals 2007 nach der Invasion und Besetzung des Irak bei einem G7-Gipfeltreffen vorgestellt hatte, rief zum US-gestützten Regimewechsel in der gesamten islamischen Welt auf. Monarchien sollen gestürzt werden, zugunsten leichter manipulierbarer Marionetten der Muslimbruderschaft, die von Washington abhängig sind, wenn sie überleben wollen. Der große Reichtum der Monarchien am Golf und in anderen Regionen würde geplündert, indem er unter Aufsicht des IWF privatisiert und an ausgewählte westliche »Investoren« verkauft würde, ähnlich wie es in der Jelzin-Ära Anfang der 1990er Jahre unter Jegor Gaidar und den korrupten »Harvard-Boys« in Russland geschah. Allem Anschein nach würde sich Washington wünschen, dass Russland zu den Gaidar-Jahren zurückkehrt.
Doch es gibt noch einen größeren Plan, der durch Russlands Intervention zugunsten von Assads Regierung blockiert wird. Nämlich die Schaffung von Chaos in der gesamten islamischen Welt, bei dem sich Muslim und Muslim, Sunnit (Saudi-Arabien, Katar und AKP in der Türkei) und Schiit (Iran, Bahrain, Teile von Saudi-Arabien sowie proschiitische Alawiten in Syrien und der Türkei) gegenüberstünden. Die Blaupause für diese Revolution innerhalb des Islam, die Politisierung des Islam zu einer destruktiven globalen dschihadistisch-salafistischen Bewegung, kursiert in Kreisen des Pentagon bereits seit über 15 Jahren. 2006 veröffentlichte das US Armed Forces Journal einen Artikel von Colonel Ralph Peters zum Thema »Blutgrenzen: Wie ein besserer Naher und Mittlerer Osten aussehen würde«. Peters beschrieb eine Landkarte der umgestalteten Region, wie sie dem Pentagon vorschwebte.
2007 berichtete Ex-US-General Wesley Clark bei einer Rede vor dem Commonwealth Club in San Francisco über ein Gespräch im Pentagon Anfang 2003, in dessen Verlauf ein ihm bekannter höherer Offizier gesagt hatte: »Ich habe soeben dieses Memo aus dem Büro des Verteidigungsministers erhalten. Es besagt, dass wir innerhalb von fünf Jahren die Regierungen von sieben Ländern angreifen und absetzen werden – wir beginnen mit dem Irak und machen dann weiter mit Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und dem Iran.« Laut Clark war das Ziel dieses Komplotts: »Sie wollten, dass wir den Nahen und Mittleren Osten destabilisierten, auf den Kopf stellten und unter unsere Kontrolle brachten.« 2013, ein ganzes Jahrzehnt später, ist der neokonservative Zeitplan des Pentagon arg in Verzug geraten. Der Irak unter einer schiitischen Mehrheitsregierung ist keinesfalls die erhoffte US-Marionette. Der Sudan hat zwar durch US-Manipulation den ölreichen Südsudan verloren, ist jedoch keineswegs unter US-Kontrolle, ebenso wenig Syrien, der Iran und Libanon. Allenfalls könnte man Libyen, das von der NATO brutal in einen Regimewechsel bombardiert und in ein Trümmerfeld verwandelt wurde, als unter US-Kontrolle stehend bezeichnen, aber selbst das ist alles andere als klar.
Heute, zwei Jahre und viele Billionen Dollar nach Beginn von Washingtons erfolglosem Versuch, mit Unterstützung von saudischem und katarischem Geld einen Regimewechsel in Syrien zu erzwingen, ist Washington dabei, den Krieg zu verlieren. Syrien ist eindeutig ein Vorspiel für die Transformation des Libanon und vor allem des Iran im Rahmen der langfristigen Pläne des Pentagon, die General Clark 2003 beschrieb. Assad ist weit von einer Niederlage entfernt, Washington betrachtet Putin als Hauptgrund dafür und das durchaus zu Recht.
Während Obama und Hillary Clinton mit Medwedew als Präsident das Gefühl hatten, einen Dialogpartner für einen »Reset« vor sich zu haben, ist solch ein Reset jetzt mit Putin vom Tisch. Die Welt vergisst zumeist, dass der inzwischen berühmte Clinton-»Reset« ein Signal bedeutete, dass Washington gerne mit Medwedew arbeitete und froh war, es nicht mehr mit Putin als Präsident zu tun zu haben. Der Reset bezog sich auf die Präsidentschaft Putin. Washington gab vor, für Russland lebenswichtige Sicherheitsfragen wie die Errichtung von US-Raketenstützpunkten in Polen, der Tschechischen Republik und der Türkei – die gegen die russischen Atomstreitkräfte gerichtet waren – für einen freundlichen Kompromiss zur Disposition zu stellen. In Wirklichkeit war das nicht der Fall, aber der Propagandaeffekt ließ es so aussehen, als sei Washington »vernünftig«.
Jetzt hat Putin mit der Blockierung von Assads Sturz Schockwellen ausgesendet, die weit über das kleine Syrien hinausreichen. Er leistet hartnäckigen Widerstand gegen Washingtons Plan einer weltweiten »Full Spectrum Dominance«. Der Iran mischt sich in Syrien mit massiver Unterstützung für Assad ein. Das ägyptische Militär hat die Möchtegern-Diktatur der von den USA unterstützten Muslimbruderschaft Mursis abgesetzt, und sogar der den Muslimbrüdern freundlich gesonnene Emir von Katar, Khalifa bin Hamad Al Thani, sah sich jüngst zur Abdankung zugunsten seines weniger aktivistisch gesinnten Sohnes Tamim bin Hamad Al Thani gezwungen.
Als Emir entließ Tamim umgehend den bisherigen Premierminister Scheich Hamad bin Jassim, der der Muslimbruderschaft nahesteht. Katar hatte Mursis Muslimbruderschaft ungefähr acht Milliarden Dollar zukommen lassen, und der spirituelle Führer der Muslimbrüder, Yusuf al-Qaradawi, hat jahrzehntelang in Doha gelebt. Katars regierungseigenem Fernsehsender Al Jazeera wird seit Jahren ebenfalls vorgeworfen, sich von einem angesehenen arabischen Nachrichtensender zur parteilichen Stimme der Muslimbruderschaft gewandelt zu haben.
Die Schockwellen von Putins entschlossener Verteidigung der Verbündeten Assad und Syrien reichen jedoch weit über den Nahen Osten hinaus. Für seinen ersten Auslandsbesuch hatte Chinas neuer Präsident Xi Moskau ausgewählt, um die Beziehungen zu Putin in wichtigen Fragen der Kooperation zu vertiefen. Beim jüngsten Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Südafrika zwischen Russland, China, Indien, Brasilien und Südafrika beschlossen die fünf Schwellenländer, die zusammen mehr als ein Viertel des weltweiten BIP repräsentieren, ein Abkommen zur Bereitstellung einer Notreserve von 100 Milliarden Dollar, auf die im Fall einer ernsthaften Krise in einem der BRICS-Staaten, beispielsweise bei einer spekulativen Attacke auf die Währung, zurückgegriffen werden kann. Außerdem einigten sich die fünf darauf, bis 2014 den Plan einer BRICS-Entwicklungsbank vorzulegen. Russland unter Putin spielt eine führende Rolle bei der Schaffung eines multinationalen Gegenpols gegen Washingtons Plan einer Weltherrschaft als einzige Supermacht. Das ist der wahre Grund dafür, dass Obama das Asyl für Snowden zum Vorwand für die Absage seines geplanten Treffens mit Putin genommen hat. Es hätte nämlich gezeigt, dass Barack Obama, der de facto amerikanische »Kaiser«, keine Kleider hat, wie es im dänischen Märchen heißt.