BRIEF ANNELIESE H.
Reichstadt, etwa 16. Februar 1945
Unsere Karte hast Du wohl bekommen? Nun sitzen wir hier, armer als Kirchenmause, auf Stroh, mit nichts und gar nichts.
Es hat uns schlimm erwischt. Nun haben wir hier nichts mehr.
Ganz Dresden ist wohl glatt erledigt. Da ist wohl kein Stadtteil mehr, der nicht be¬rroffen ist. Es war grauenhaft.
Nach dem 1. Angriff 21.00 und soviel musSten wir aus dem Keller der DNN und wusSten nicht wie und wo, alles dick voll Qualm.
Kein Durchbruch frei. Lange haben wir noch unten gesessen. Dann Durchbruch Viktoria¬stralSe. Draussen alles ein Flammenmeer. Wenn Addel nicht gewesen ware, ich wuesste nicht, was aus uns geworden ware. Allein hatte ich wohl nie den Mut und die Kraft gehabt, durch das Feuer und Steine und Split¬ter durchzukommen. Wir wollten irgendwo ins Freie. Es branme alles. Um die Ecke in Richtung Hauptbahnhof. Weiter kamen wir nicht - raus, auch auf der [unleserlich, d. Hrsg.] Strasse brannte es. Der Bahnhof stand noch, und wir rauf in die Wache. Split¬ter und so war furchtbar viel.
Wir glaubten nun, wit seien gerettet. Nach paar Minuten Ruhe ... 2. Alarm 1 1/2 Std. in den Bahnhof in den Keller. Der Angriff hat den Bahnhof wohl hingebracht. Was noch steht, weilS ich nicht. Der Keller hielt, aber wir glaubten nicht, dafS wir noch mal rauskamen, hatten uns schon zum Sterben hingelegt.
Urn 5 Uhr ungefahr hielS es: Durchbruch frei. Da haben wir noch Koffer, Rucksack und alles liegenge¬lassen, weil wir wohl schon halb weggewesen waren, und kamen miihselig raus. Wieder alles ein Riesenfeuer. Dann haben wir noch paar Stunden auf der SrralSe gesessen. Vormit¬tags zu FusS iiber Triimmer zur Mommsenstrasse, von dort sollten Autos fahren. Da ha¬ben wir erst bei Pauls (Mims Freundin) Rast gemacht, mir 2 Windeln geborgt und 2 Jackchen, fiir die Luette. Sie war klatschnasS.
Jetzt sind wir nun hier in der Schule in Reich¬stadt. Ob wir in Privatquartiere kommen und wie lange wir hier bleiben, ist noch un¬bestimmt. Hier ist alles noch mehr als pri-mitiv, Tolchen, nun sieh mal, ob Du uns was schicken kannst. Ich habe auf dem LeibNachthemd, Schlupfer, Trainingshose, Pull¬over, ]acke und Mantel, kaputte Schuh und kaputte Strumpfe. Nicht mal einen Gurtel hab ich mit. Herta hat Wasche und Uniform. Um Sachen fur die Luette haben wir an Mausi geschrieben, ob die uns was schickt?
Es ist furchtbar. Man kann es noch gar nicht alles fassen, ich konnte dauemd heulen.
Herta ist heut vormittag wieder zuruck, sie muss sehen, wie sie reinkommt. Sie muss ja zum RK und sehen, ob die Firma noch steht. Sie will erst mal sehen, ob bei uns noch was im Keller ist, aber Hoffnung haben wir nicht. Es ist grauenhaft. Das hatte man nie gedacht, der ganze Grosse Garten ist eine Wustenei, die Altstadt ein Trummerhaufen, bis in die Vororte rein. Herta ist jetzt in Freital, sie wohnt bei Wolf, Talstr. 4. Sie werden eine Verpflegungsstelle einrichten, weiss nur nicht wo. Sie muss auch mal sehen, was mit der Firma wird. Da sollen die Keller noch stehen, und das Haus vom [unleserlich, d. Hrsg.] sie noch nicht. –
Mims war gestem nach Dresden, sie wollte sehen, ob von den Sachen im Keller noch was da ist, aber es war noch nicht moglich. Nun hat man ihr fur Montag Hilfe versprochen. Aus dem Keller von der DZ, wo wir nach dem Angritf raus sind, sind 30 Tote. Mims hat dort mitgeholfen, Eistermann, Liebenau, Schindler usw. Frau Dr. Stock ist anscheinend noch nach Oberbarenburg, es hatte an der Hausmauer gestanden. Unser Haus hatte an¬scheinend nicht so gebrannt, sondem einen Volltreffer bekommen.
Hoffentlich ist nun Dir nichts passiert, auch Deiner Wohnung nicht. Diese ewige Angst und Sorge. Alle haben es so satt, und es wird wohl noch schlimmer kommen. Ob wir noch mal richtig leben konnen? Ich glaub es nicht.
Nun, meine liebe Traude!, fur heute Schluss Bitte schreib gleich. Alles Gute.
Innigst gruesst Dich Deine Amse !
P.S. Wozu leben wir nun noch?
Um zu warten, bis die Russen kommen?
Hier unter sol¬chen Bedingungen! - Mittags, als wir bei Pauls waren, kam ein 3. Angriff, eine Brand¬bombe ins Haus, die Adde! mit loschte. Diese Nacht sollen sie schon wieder zweimal in Dresden gewesen sein. - Ein Brief an Dich lag Fertig zum Einstecken auf dem Korridortisch. - Ich kann kaum noch reden, jedes Wort tut weh, ganz heiser vom vielen Heulen und dann wohl auch erkaltet. Liselott hat Schnupfen, aber ich mug froh sein, wenn's dabei bleibt. -
Was tut man sonst alles fur die Kleine, und fur nichts, nichts. Essen, Schlafen, mit allem kommen sie durcheinander, hocken den gan¬zen Tag im Stroh, da macht die Kleine nun ihre Laufubungen.
Also, Traudel, wie ist's denn bei Euch? Hof¬fentlich nichts wieder gewesen? Wir hatten Dich neulich anrufen wollen, wurde aber nicht angenommen. Dann kam auch Deine Karte. Mein Brief darauf ist ja verbrannt.
Nun sieh mal zu, ob Du Deinen armen, obdachlosen, ausgebombten Schwestem bigchen helfen kannst. Ob ich mein Leben in Trainingshosen herumlaufen muss? Ach, es ist furchtbar. Was soll nur mit uns werden? Ich sehe immer noch Flammen und eingesturzte Hauser, doch jetzt Schluss
Innigste Grusse, Deine Amse!