WELT / 22.05.2024 / von Berthold Seewald
PAZIFIKKRIEG
Japan brachte Maos Kommunisten erst an die Macht
Im
April 1944 eröffnete die
japanische Armee mit der
„Ichi-go“-Aktion eine
Großoffensive, die zur Eroberung weiter Teile
Südchinas führen sollte. Mit einer
großen Offensive wollte die japanische Armee die
Truppen Tschiang Kai-scheks 1944
vernichten. Es war ein
Pyrrhussieg. Der Krieg ging weiter und
Mao wurde
stärker als
je zuvor.
Der
Zweite Weltkrieg im
Fernen Osten zeichnete sich durch ein merkwürdiges
Ungleichgewicht aus. Während die japanischen Streitkräfte auf Papua-Neuguinea und den Inseln des Zentralen Pazifiks gegen die Amerikaner zunehmend in Bedrängnis gerieten, beherrschten sie das chinesische Festland fast nach Belieben. Obwohl die
nationalchinesische Armee des
Kuomintang-Generalissimus Tschiang Kai-schek auf dem Papier über
324 Divisionen verfügte, wurde sie von den
25 Divisionen, die der Tenno ihnen
entgegenstellte, leicht in Schach gehalten.
Damit konnte sich Japan die strategischen Rohstoffe sichern, die es brauchte, um seine „Großostasiatische Wohlstandssphäre“ am Leben erhalten zu können. Im Frühjahr 1944 eröffnete die japanische Armee zwei Großoffensiven, die zu Lande Gewinn und Ansehen erzielen sollten, die auf dem Wasser gegen die US Navy inzwischen verloren gegangen waren. Die „
U-go“-Offensive sollte von
Birma (heute: Myanmar) aus gegen das indische Assam vorgetragen werden und in Zusammenarbeit mit der
Indischen Nationalarmee des
Hitler-Gefolgsmanns Subhash Chandra Bose die britische Herrschaft auf dem Subkontinent
erschüttern.
Zur
gleichen Zeit wollte das Kaiserliche Hauptquartier mit dem „Ichi-go“-Feldzug endlich weite Teile Südchinas unter seine Kontrolle bringen, die US-Luftbasen, die dort bestanden, ausschalten und eine Landverbindung nach Indochina eröffnen. Allerdings
versäumten es die Planer, beide Aktionen miteinander
zu verknüpfen, sodass die mit nur fünf Divisionen und geringem Material vorgetragenen Angriffe in Birma bald an Schwung verloren und die Schaffung einer Verbindung über die Grenzpässe nach Südchina gar nicht erst versucht wurde.
Seit den großen Eroberungen Japans, die erst in der Seeschlacht bei Midway Mitte 1942 gestoppt worden waren, war es auch in China zu keinen größeren Feldzügen gekommen. Nun stellte das Kaiserreich 400.000 Mann bereit, dazu 800 Panzerwagen und 6000 Geschütze.
Selbst Tschiangs Hauptstadt war bedroht
Am 19. April begannen die japanischen Truppen ihre Angriffe, die schnell zu
ersten Erfolgen führten. Nicht nur verfügten die
Kuomintang-Soldaten über wenige Panzerabwehrgeschütze, sondern sie wurden auch – ähnlich den sowjetischen Truppen der ersten Kriegsjahre – in
linearen Stellungen gehalten, anstatt die Angreifer durch partiellen Rückzug in die Tiefe ins Leere laufen zu lassen.
Bis zum Mai hatten die Japaner bei nur einigen Tausend eigenen Verlusten bei Luoyang in der zentralen Provinz Henan fast
400.000 nationalchinesische Soldaten eingeschlossen. Zwar konnten einige Einheiten ausbrechen, sie verloren dabei aber bis zu
90 Prozent ihrer Ausrüstung. Und so ging es in den folgenden Monaten weiter. Der Rückzug von
Tschiangs Truppen artete oft in eine
kopflose Flucht aus. Selbst seine provisorische Hauptstadt Tschangqing drohte in die Hände der Japaner zu fallen.
Bis zum November kontrollierten die Soldaten des Tenno weite Teile des chinesischen Südens. Die amerikanischen Luftbasen waren ausgeschaltet worden, und Anfang 1945 erreichten die Japaner nach der Eroberung der Stadt
Nanning die Grenze von
Indochina, dessen französische Verwaltung sie umgehend
entmachteten. Die chinesischen Verluste betrugen mehr als
eine Million Soldaten,
vier Armeen, die Zahl der durch
Kampfhandlungen, Massaker oder
Hunger getöteten Zivilisten dürfte in ähnlichen Größenordnungen liegen, während die Verluste der Japaner mit
50.000 angegeben wurden.
Aber ihr
Sieg erwies sich als Pyrrhussieg. So bestärkte der
Zusammenbruch der
Kuomintang-Armeen die Alliierten in ihrer Ansicht, dass China nur ein Nebenkriegsschauplatz sei und die Entscheidung im direkten Angriff auf das japanische Mutterland gesucht werden sollte. Zu diesem Zweck wurden auf den Inseln der Marianen im Zentralpazifik von Bau-Soldaten auch umgehend die Flugfelder angelegt, von denen der strategische Luftkrieg gegen Japan vorgetragen werden konnte.
Die Strategie des Generalissimus
Der Verlust der chinesischen Flugplätze gab dagegen dem ehrgeizigen US-General Douglas MacArthur das entscheidende Argument gegenüber Washington in die Hand, seinen Plänen zur Landung auf den Philippinen endlich Vorrang einzuräumen. Denn ohne Luftunterstützung vom Festland aus rückte die ursprünglich vorgesehene Landung auf Taiwan in weite Ferne.
Während sich die Amerikaner auf ihr „Inselspringen“ im Pazifik konzentrierten und die Briten nach der Abwehr der „U-go“-Offensive im Frühjahr 1944 in Birma vordrangen, sahen sich die
japanischen Armeen in
China mit dem Problem konfrontiert, den riesigen Raum angemessen zu
kontrollieren. Noch immer standen im Süden und Westen
Tschiangs Divisionen, die zunehmend durch gut ausgerüstete chinesische Verbände verstärkt wurden, die von den
Alliierten in
Indien aufgestellt worden waren.
Treibende Kraft war der amerikanische
General Joseph Stilwell, der als Chef von
Tschiang Kai-scheks Stab fungierte und aus seiner
Verachtung für
Chinesen und
Briten kein Hehl machte. Stilwell unterstellte dem Generalissimus, seine Truppen gegen die Japaner bewusst zurückzuhalten, um mit ihnen nach dem Endsieg gegen die
kommunistischen Verbände vorzugehen. Die hatten sich – bis zu zwei Millionen Mann stark – im Nordwesten des Landes verschanzt.
Japans vermeintliche Stärke
Zwischen beiden stand nun die
japanische Armee, stark genug, um jeden Angriff abzuwehren, aber zu schwach, um den Krieg endlich siegreich beenden und damit ihre Truppen zum Kampf um die Inseln des Pazifiks einsetzen zu können. Trotz ihrer geringen Kampfkraft banden die
Armeen Tschiangs und
Maos die Hauptmacht der japanischen Armee, die damit geradezu zur Untätigkeit verurteilt wurde.
Zugleich gaukelten die leichten Siege eine Stärke Japans vor, die seine Armee 1944 längst nicht mehr besaß. Dadurch verfestigte sich in den Köpfen der amerikanischen Führung die Vorstellung, dass eine Invasion der Hauptinseln des Kaiserreichs nur mit ungeheuren Verlusten gelingen könnte, eine Ansicht, die schließlich zum Einsatz der Atombomben führte.
Ob
General Stilwell, der schließlich von
US-Präsident Franklin D. Roosevelt gegen den umgänglicheren
Albert Wedemeyer ausgetauscht werden musste, mit seiner Ansicht über Tschiangs Strategie recht hatte, steht dahin. Ziemlich sicher ist aber, dass die
Vernichtung mehrerer
nationalchinesischer Armeen im Zuge der
„Ichi-go“-Offensive Tschiang Kai-schek der Machtmittel beraubte, um
nach Kriegsende
durchschlagend gegen
Mao Tse-tung und seine Männer
vorzugehen.
Nicht umsonst brachte es der kommunistische Führer Jahre später über sich, den japanischen Invasoren für ihre Aktion zu danken:
Denn ohne sie würde er immer noch in den Bergen sitzen.
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