Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
UdSSR / Sowjetunion
Die UdSSR umfasste ganz Osteuropa, ganz Nordasien sowie große Teile Zentralasiens. Im Osten wurde die UdSSR vom Pazifik, im Norden vom Nordpolarmeer, im Westen von Finnland, der Ostsee, Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien, im Süden von der Türkei, Iran, Afghanistan, China und der Mongolei begrenzt. Die UdSSR erstreckte sich über 22.402.223 Quadratkilometer und zählte 290.100.023 Bewohner (1991).[1]
Topographie:
Verweise auf im Lexikon behandelte Länder, die bis 1991
Teil der Sowjetunion waren
Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenien/Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Weißrussland/Belarus.
Historische Geographie
Das erste staatliche Gebilde auf dem Boden des einstigen Russischen Reiches nach der sogenannten Oktoberrevolution war die
Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialističeskaja Respublika, RSFSR, gegr. am 7. November 1917). Mit dieser
vereinigten sich – zum Teil gedrängt durch Einsatz der Roten Armee – die
souveräne Ukrainische Sowjetrepublik (gegr. am 22. Januar 1919), die
souveräne Litauisch-Weißrussische Sowjetrepublik (gegr. im März 1919) und die
souveräne Transkaukasische Föderation (gegr. 1918), die Armenien, Aserbaidschan und Georgien umfasste. Am 30. Dezember 1922 begründeten sie die
„Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ (UdSSR).
In den folgenden Jahren wurden die übrigen, nach 1917
entstandenen, noch unabhängigen Republiken auf dem Boden des einstigen
Russischen Reiches mehr oder weniger gewaltsam der Sowjetunion einverleibt. Die Grenzen der Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg entsprachen zum großen Teil denen des 1917 untergegangenen Russischen Reiches.
Im Nordwesten jedoch hatten sich die einstigen r
ussischen Ostsee-Gouvernements [Ostzejskie Gubernii] Estland, Livland und Kurland (= Estland und Lettland) im Jahr 1917 – die Schwäche der nach der Februar-Revolution 1917 gebildeten bürgerlichen
„Provisorischen Regierung“ (Ministerpräsident: Aleksandr Kerenskij [1881–1970]) nutzend – ihre
Unabhängigkeit von Russland erklärt und waren selbständige Staaten geworden.
Auch
Litauen, das als Teil
„Kongresspolens“ nach den drei Teilungen Polens (1772, 1793, 1795) und seit dem Wiener Kongress 1814/1815 mit Polen dem Russischen Reich
eingegliedert war, konnte sich während der Wirren nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Wiedererrichtung Polens und der Neuordnung Ostmitteleuropas als eigenständige Republik etablieren (1918, international bestätigt im Vertrag von Riga/Rīga 1921).
Das Großfürstentum
Finnland trennte sich in den Revolutionswirren ebenfalls von Russland (6. Dezember 1917), ebenso wie im
Südwesten Bessarabien: Am 6. Februar 1918 bat dessen Landesrat (Sfatul Ţării) das benachbarte
Rumänien um militärischen Beistand gegen die auch Bessarabien bedrohende Rote Armee, woraufhin rumänische Verbände das Gebiet besetzten. Am 9. April 1918 wurde die Eingliederung Bessarabiens an Rumänien verkündet (am 20. Januar 1920 völkerrechtlich anerkannt).
Auch im
Westen ergaben sich aus der
Wiedererrichtung Polens verschiedene Grenzveränderungen. Zwischen den beiden im Ersten Weltkrieg Krieg führenden Blöcken, den Mittelmächten und den Alliierten, bestand grundsätzlich Einigkeit über die Wiederherstellung der Staatlichkeit Polens. Während die
Westgrenzen des künftigen Polens bereits im Friedensvertrag von Versailles (28.6.1919) weitgehend festgelegt waren, blieb die Frage der Grenzziehung zwischen
Polen und der künftigen
Sowjetunion offen.
Als sich die deutschen Heeresverbände 1918 aus Ostmitteleuropa zurückzogen, stieß die noch im Aufbau befindliche Rote Armee nach, um – so die Kalkulation von Vladimir Il’ič Lenin (Ul’janov, 1870–1924) – Revolutionen im Westen zu befördern und dort politischen Einfluss zu gewinnen.
Polnische Politiker (namentlich Marschall Józef Piłsudski [1867–1935], später Regierungschef Polens) wünschten die Wiederherstellung des territorialen Status von 1772. Um dem Vordringen der Roten Armee auf von Polen beanspruchte Territorien vorzubeugen, besetzten
polnische Truppen 1919 Teile
Weißrusslands und der
Ukraine.
Angesichts der polnischen Gebietsansprüche legte der „Oberste Rat der Entente“ in Paris am 8. Dezember 1919 eine Demarkationslinie (nach sprachlich-ethnischen Kriterien) zwischen
Polen und der
bolschewistischen RSFSR fest: die
„Curzon-Linie“, die ungefähr der sowjetisch-polnischen Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach.
Im sogenannten
„Polnisch-Sowjetischen Krieg“ (1920/21) verschob sich der Frontverlauf wiederholt gravierend (polnische Besetzung Kiews/Kyjivs 7.–15. Mai 1920, Mitte August 1920 Vordringen der Roten Armee bis kurz vor Warschau/Warszawa, anschließend erfolgreiche polnische Gegenoffensive [„Wunder an der Weichsel“]).
Auf Druck Englands und Frankreichs wurde schließlich ein Waffenstillstand geschlossen (12. Oktober 1920). Im Frieden von Riga (18. März 1921) akzeptierte Lenin, dessen Regime von mehreren Armeen der zarentreuen „Weißen“ aufs Äußerste bedrängt wurde, eine
Grenzlinie, die den polnischen Vorstellungen eher entsprach. Sie verlief 200 bis 250 Kilometer östlich der „Curzon-Linie““: Polen wurde das westliche Weißrussland/Belarus (mit Brest-Litovsk/Brėst/Breść nad Bugiem, Grodno/Hrodna, Baranowitschi/Baranavičy/Baranowicze) sowie die westliche Ukraine (Wolhynien und Galizien mit Lemberg/L’viv/Lwów) zugesprochen.
Mit dem
Geheimen Zusatzprotokoll zum
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (23. August 1939), in dem Iosif Vissarionovič Stalin (Džugašvili, 1878–1953) und Adolf Hitler (1889–1945) ihre Interessensphären in Ostmitteleuropa absteckten, zielte die sowjetische Führung auf eine Revision der im Vertrag von Riga 1921 festgeschriebenen territorialen Verluste.
Bald nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs überschritt die Rote Armee, wie im
Geheimen Zusatzprotokoll verabredet, die
polnische Ostgrenze (17. September 1939). Die Grenze zwischen der sowjetischen und der deutschen Zone (mit Warschau) bildete im Wesentlichen der Fluss Bug. Am 30. November 1939 fiel die Rote Armee in Finnland ein („Winterkrieg“), das im Frieden von Moskau/Moskva (12./13. März 1940) erste Gebietsverluste hinnehmen musste.
Nach erheblichen territorialen Gewinnen der Finnen im Anschluss an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion mussten sich die
finnischen Verbände, der sowjetischen Übermacht
weichend, 1944 wieder aus Ost-Karelien
zurückziehen und einen Separatfrieden mit der UdSSR (19. September 1944) abschließen.
Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkriegs
verlor Finnland schließlich die Region um
Wiborg/Vyborg/Viipuri, das nordwestliche Umland des
Ladogasees (mit der Klosterinsel Valamo), die
Fischer-Halbinsel im Norden bei
Murmansk sowie einen
Gebietsstreifen östlich vom
finnischen Salla an die Sowjetunion.
Im Frühjahr 1940 wurden – zunächst vorübergehend – die
baltischen Staaten durch die Rote Armee besetzt, seit dem 18. September 1940
Bessarabien und die
Nord-Bukowina mit Czernowitz/Černivci/Cernăuţi. Bei ihrem Vordringen nach Westen im „Großen Vaterländischen Krieg“ eroberte die Rote Armee 1944/1945 die seit 1941 von der Wehrmacht besetzten
baltischen Staaten wieder, ebenso wie die umstrittenen
ostpolnischen Gebiete, die Stalin dann auch auf den interalliierten Konferenzen von Jalta (4.–11. Februar 1945) und Potsdam (17. Juli – 2. August 1945) für die Sowjetunion
beanspruchte.
Die
UdSSR verfügte mit den
Territorialgewinnen während und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur über den gleichen territorialen Bestand wie das einstige Russische Reich, sondern hatte in
Ostmitteleuropa mit den
finnischen Abtretungen, mit dem
nördlichen Ostpreußen, mit
Ostgalizien, der
Karpato-Ukraine und der
nördlichen Bukowina ihre Grenzen sogar noch ein Stück
nach Westen vorgeschoben.
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