Die Zeit Online / 24.10.2023 / Analyse von Steffen Richter
China und der Nahe Osten
Israel ist für China nicht mehr wichtig genug
China lässt antisemitische Hetze im heimischen Internet zu und bezieht eine eher diffuse Position zum Hamas-Terror. Die Volksrepublik wendet sich damit von Israel ab. Mit der Einschätzung des chinesischen Nahost-Gesandten
Zhai Jun zum Gaza-Krieg können sicher weltweit politische Beobachterinnen und Beobachter mitgehen:
Es bestehe die Gefahr eines
großflächigen Bodenkonflikts und einer Ausweitung der bewaffneten Auseinandersetzungen entlang der Nachbargrenzen, wird er Montag von Staatsmedien zitiert.
Auch damit, dass China bereit sei, "alles zu tun", um den Dialog zu fördern, einen Waffenstillstand zu erreichen und den Frieden wiederherzustellen sowie die
Zweistaatenlösung und eine gerechte und dauerhafte Lösung des Konflikts zu unterstützen, wird er keinen grundlegenden Widerspruch hervorrufen. Zhai präsentiert China als regionalen Friedensstifter.
Die Frage ist jedoch, wie authentisch Zhai dabei sein kann. Denn sein oberster Chef, Chinas Präsident Xi Jinping, spricht nicht vom Terror der Hamas, geschweige denn, dass er ihn öffentlich verurteilt hätte. Auch Chinas Diplomaten sagen nicht explizit, was am 7. Oktober im Süden Israels wirklich geschehen ist. Ihre Äußerungen gehen eher in eine andere Richtung.
Eine Woche nach den Angriffen etwa sagte Chinas Außenminister zu seinem saudischen Amtskollegen Bin-Faisal, dass "Israels Aktionen" über den "Rahmen der Selbstverteidigung" hinausgingen. Die Israelis hat Chinas unklare Positionierung ernsthaft gekränkt, da sich die Regierung von Premier Netanjahu zuletzt um gute politische und wirtschaftliche Kontakte mit der Volksrepublik bemüht hatte.
Das gemeinsame Handelsvolumen war 2022 auf über 22 Milliarden US-Dollar gestiegen. Zudem konnten chinesische Unternehmen sich an Infrastrukturprojekten wie zum Beispiel dem Bau einer Straßenbahn in Tel Aviv beteiligen, es gibt Kooperationen mit israelischen Hightechfirmen und ein Shanghaier Staatsunternehmen betreibt in der Bucht von Haifa ein modernes Containerterminal. Es liegt in der Nähe zum wichtigen Hafen von Haifa, der auch von der US-Flotte angelaufen wird. Gleich nebenan liegt ein israelischer Marinestützpunkt, der auch Atom-U-Boote beherbergt. Besonders Chinas Haifa-Engagement hat deswegen großen Unmut bei Israels engstem Verbündeten, den Vereinigten Staaten, hervorgerufen. Auch die Zusammenarbeit israelischer Softwareunternehmen mit chinesischen Firmen wird von US-Beamten kritisch gesehen.
China will eine propalästinensische Haltung präsentieren
Diese Sorgen wird die US-Regierung jetzt nicht mehr haben. Indem Chinas Diplomaten den Hamas-Terror nicht als das benennen, was er ist, verliert das Land viel Vertrauen in der israelischen Politik. Doch es gibt offensichtliche Gründe, warum China so handelt: Das Land hat im gesamten Nahen und Mittleren Osten gewichtige wirtschaftliche Interessen, und Israel ist da am Ende nur ein
kleiner Teil. Allein Saudi-Arabien und der Iran verkaufen heute den größten Teil ihrer Ölvorkommen in die Volksrepublik, rund die Hälfte der chinesischen Ölimporte stammt heute aus Ländern am Persischen Golf.
Ein zweiter entscheidender Treiber sind Chinas geopolitische Interessen:
Bislang wurde die Golfregion dominiert von den Vereinigten Staaten. China sieht heute die Möglichkeit, sich dort als
Gegenpol zu den USA zu positionieren. Dass das chinesische Außenministerium erfolgreich an der Vermittlung zwischen den lange verfeindeten Staaten Saudi-Arabien und Iran beteiligt war, ist ein sicheres Zeichen dafür. Zum Iran, zu dessen islamistischer Staatsdoktrin die Zerstörung Israels zählt, pflegt China ohnehin gute Beziehungen. Der Iran wiederum ist neben Katar der wichtigste Unterstützer der Hamas.
Und da die Regierungen im gesamten Nahen und Mittlere Osten propalästinensische Positionen vertreten, bezieht Chinas Führung im Gaza-Krieg ihre eher diffuse Position. Man möchte mit den arabischen Staaten und dem Iran weiter gute Beziehungen pflegen. "Aus arabischer Sicht sind die Palästinenser Freiheitskämpfer. Hamas wird nicht als Terrorgruppe angesehen. China übernimmt diese Perspektive, weil es hilft, seine eigene Position in der arabischen und muslimischen Welt zu festigen", sagt China-Fachmann Gedaliah Afterman von der Reichman University in Herzlia im Berliner Fachnewsletter China.
Es gibt Ähnlichkeiten im Umgang mit dem Ukraine-Krieg
Das geht so weit, dass in der eigentlich scharf zensierten Onlinewelt innerhalb Chinas die Botschaft des Irans in Peking auf
Douyin, dem c
hinesischen TikTok, antisemitische Hetze und vermeintliche Wahrheiten des Gaza-Kriegs verbreiten darf.
Chinas Zensoren lassen auch zu, dass seit dem 7. Oktober, dem Tag der Hamas-Anschläge, auf Chinas Onlineplattformen antisemitische Hassreden zu lesen sind. Oder dass einer von Chinas führenden Nah- und Mittelost-Fachleuten seine Hetze gegen Jüdinnen und Juden publizieren darf, wie China-Forscher Tuvia Gerig auf X dokumentiert hat.
"Eine der klaren Botschaften Pekings ist, dass Israel für China nicht sonderlich wichtig ist. Für China scheint es, dass die Beschädigung der bilateralen Beziehungen zu Israel lediglich ein Kollateralschaden ist von Chinas regionalen und geopolitischen Bestrebungen",
sagt Gedaliah Afterman.
Der Weg, den China im Fall des Gaza-Kriegs einschlägt, unterscheidet sich so am Ende nicht wesentlich vom Umgang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Sowohl der Hamas-Helfer Iran als auch Aggressor Russland können ihre Propaganda in China verbreiten. Die Hoffnung westlicher Politikerinnen und Politiker, dass Chinas Führung auf Putin einwirkt, seinen Krieg zu beenden, hat sich bislang nicht erfüllt.
Doch Chinas Interesse an einem stabilen Nahen und Mittleren Osten sollte allein aufgrund der Energielieferungen an China eigentlich hoch sein. Das heißt, es könnte versuchen, seine guten Beziehungen in Teheran zu nutzen und die Führer der Islamischen Republik drängen, dass diese auf die Hisbollah-Miliz im Libanon und auf die Hamas einwirken. Zumindest so weit, dass der Gaza-Krieg etwas entschärft werden kann. Ob das iranische Regime daran aber überhaupt Interesse hat, ist eine ganz andere Frage.
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