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KTN
Der Pöbel weiß eh nicht wie wissenschaftliche Daten veröffentlicht werden. Gut zu sehen an dem Bildredakteur, der eine Stellungnahme innerhalb einer Stunde forderte. Wissenschaftler fassen ihre Forschungsergebnisse in einem Manuskript zusammen und reichen das bei einem wissenschaftlichen Journal ein. Gutachter beim Journal beurteilen in einer ersten Prüfung, ob die Studie den Qualitätsansprüchen des Journals entspricht, inhaltlich zu dem Themenbereich des Journals passt und von Relevanz für die wissenschaftliche Gemeinschaft ist. Wenn das Manuskript diese erste Prüfung übersteht, wird es an sogenannte Reviewer weitergegeben. Diese Reviewer sind absolute Spezialisten, international renommierte Experten, zu genau dem Thema der Studie. Sie sind nicht allgemein "Biologen", "Mediziner" oder "Physiker", sie sind ganz genau in dem Bereich spezialisiert, um den es in dem Manuskript geht. Denn Wissenschaft ist hochspezialisiert, es gibt keine Universalgelehrten, die alle Literatur zu allen Themen überblicken können - täglich erscheinen allein in den Biowissenschaften zehntausende Publikationen. Es gibt also nur Experten für ganz konkrete, kleine Bereiche. Ein wissenschaftliches Journal hat also viele Reviewer für viele verschiedene Bereiche. Die Reviewer bekommen das Manuskript und bekommen einige Wochen Zeit, Anmerkungen zu schreiben. Sind sie der Meinung, dass es inhaltlich minderwertig ist, wird die Publikation abgelehnt. Sind sie der Meinung, dass es perfekt ist, wird es direkt veröffentlicht - das passiert allerdings praktisch nie. Tatsächlich finden Reviewer meistens Fehler oder stellen fest, dass noch weitere Experimente oder Rechnungen notwendig sind, um eine Hypothese wirklich zu belegen. Sie erklären den Autoren, welche Daten noch nötig wären, um die Publikation aussagekräftig zu machen. Die Autoren bekommen dann einige Wochen oder Monate Zeit, um neue Experimente oder Berechnungen zu machen und das Manuskript weiter zu verbessern. Dann schicken sie es wieder an die Reviewer. Wurde die Kritik überzeugend umgesetzt, kommt es zur Publikation. Wenn nicht, wird das Manuskript nicht veröffentlicht, in der Regel gibt es dann auch keine Chance mehr für weitere Verbesserungen. Dieser Veröffentlichungsprozess dauert in der Regel viele Monate.
In der aktuellen Coronaphase möchten viele Wissenschaftler der wissenschaftlichen Gemeinschaft ihre Ergebnisse nicht über Monate vorenthalten - weil ihre Ergebnisse andere Wissenschaftler in ihrer Forschung ja weiterbringen könnten. Manche Wissenschaftler - wie Drosten - stellen ihre Daten, die den erklärten Review-Prozess noch nicht durchlaufen haben, der Öffentlichkeit sofort zur Verfügung. Dann passiert etwas, wovon die Öffentlichkeit sonst nichts mitbekommt: die Kritik, die sonst im Review-Prozess aufgekommen wäre, wird plötzlich öffentlich. Denn die Fachöffentlichtkeit diskutiert die noch nicht offiziell veröffentlichen Ergebnisse. Genau das ist im Fall von Drosten passiert. Drosten hat vor Wochen ein sogenanntes Preprint auf einer frei zugänglichen Plattform veröffentlicht. Ein paar Statistik-Experten erkannten dringenden Verbesserungsbedarf an der statistischen Auswertung der Daten, veröffentlichen die Kritik oder kontaktierten ihn direkt. Drosten und sein Team waren von einer Kritik so begeistert, dass sie den Kritiker schon vor Wochen baten, Co-Autor des Manuskripts zu werden und bei der Statistik zu helfen. Er sagte zu. Diese Änderungen wurden bereits umgesetzt und ändern nicht nur nichts an der Kernaussage des Manuskripts, sondern stützen die Aussage sogar, so sagt es jedenfalls Drosten.
Das Manuskript liegt gerade Reviewern von einem wissenschaftlichen Journal vor, die es wissenschaftlich beurteilen und entscheiden, ob es in dieser Form veröffentlicht wird oder nicht. Wissenschaft lebt von Kritik, Verbesserung, Kooperation verschiedener Disziplinen. Das ist ein ganz normaler Prozess, der normalerweise nur nicht öffentlicht ist. Die aktuelle Situation ist vielleicht so, als würde ein Journalist eine aufwendige Reportage schreiben, in der an einer Stelle aber eine Fehlinformation steht. Leser würden das der Redaktion melden und die würde eine Korrektur veröffentlichen. Daraufhin würden andere Medien behaupten, die ganze Reportage wäre falsch und wertlos, womöglich sogar eine böswillige Lüge, um Leser zu manipulieren. Kritik an einer statistischen Auswertung entwertet eine biologische Studie nicht. Es gehört zum wissenschaftlichen Prozess dazu, Kritik anzunehmen und einzuarbeiten. Und genau das ist geschehen. Am Ende sollte die Publikation bewertet werden, die aus diesem Preprint entsteht.