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Chinon
Es ist sogar noch ein bißchen mehr, in Töne gesetzte Soziologie. Das "Per Pietà mio ben" wird von einem Recitativo Accompagnato eingeleitet, woran man erkennt, daß es sich um eine Aristokratin handelt, auch an der differenzierten Orchestration.
Einfache Formen sind einfachen Personen vorbehalten, Handerkern, Bauern und Dienern wie Despina.
Wer die Così in modernisierter Form inszenieren möchte, müßte für die vorrevolutionäre Ständegesellschaft eine Entsprechung unserer Zeiten finden, was ich bis zum Beweis des Gegenteils für ein aussichtsloses Unterfangen halte und mir die Freiheit nehme, die Arbeiten einer Doris Dörrie, eines Christoph Loy, Jonathan Miller usw. usf. für verkrampften Mist zu halten, von denen nicht eine einzige zu einem besseren Verständnis des Werkes beiträgt, wie das Patrice Chéreau mit Wagners Ring und Peter Konwitschny teilweise mit Verdis Don Carlos gelungen ist.
Hier noch ein Beitrag zum Werkverständnis
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Leider ist nur selten einmal etwas von den modernen Inszenierungen gelungen.
Nur selten sind Opern-Neuinszenierungen ein Thema für Publikumszeitschriften. Im Juni 2001 war das aber der Fall, als die Münchner Filmemacherin Doris Dörrie an der Berliner Lindenoper mit "Cosi fan tutte” ihr Opernregie-Debüt gab und damit dem Haus die erfolgreichste Opernaufführung der Berliner Saison bescherte.
Der Plot von Mozarts 1790 uraufgeführter Oper soll auf eine wahre Begebenheit zurückgehen: Zwei Männer stellen die Treue ihrer Verlobten auf die Probe indem sie verkleidet jeweils der anderen den Hof machen. Die Frauen werden schwach, es kommt zu Hochzeiten über Kreuz und alle stehen vor einen Scherbenhaufen.
Dörrie verlegt die Handlung vom Ende des 18. in die schrillen 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts, in die Flower-Power-Zeit; die Haarschnitte von Fiordiligi und Dorabella (glänzend gesungen und gespielt von Dorothea Röschmann und Katharina Kammerloher) erinnern an Mirelle Mathieu und Doris Day, Guglielmo und Ferrando (ebenfalls wandlungsfähig und stimmlich
überzeugend besetzt mit Hanno Müller-Brachmann und Werner Güra) ziehen in einem Jumbo-Jet der Fluglinie "Cosi” vermeintlich in den Krieg, um dann als Hippies mit zottiger Haarpracht und mit Che Guewara-T-Shirt verkleidet die Frauen auf die Probe zu stellen. Der Philosoph Don Alfonso wird hier als skrupelloser Geschäftsmann dargestellt. In Bühnenbild und
Kostümen lässt Christian Sedelmayer die 70er-Jahre überzeugend wiederauferstehen. Dörrie, die sich selbst als bekennenden "Operntrottel” bezeichnet, geht zwar vom Text aus, beweist aber auch ohne Notenkenntnisse und Opernregie-Erfahrung ein Gespür für das besondere Text-Musik-Verhältnis (wobei sie der Dirigent etwas unterstützt hat). Hilfreich für das Verständnis ist hier die sehr wörtliche deutsche Untertitelung.
Dass das Dörrische Konzept gelingt, hängt zum guten Teil mit dem jungen, stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen begabtem Solistenensemble zusammen. Die sechs Sängerinnen und Sänger lassen sich auf die Zeitreise ein und setzen die Regieeinfälle auch in den Übertreibungen glaubhaft um.Auch die Musik im Graben kommt nicht zu kurz, denn Barenboim,
Staatskapelle und -chor sorgen dafür, dass Mozarts Orchesterpart - sehr virtuos und wichtig in dieser Oper - spritzig, transparent und durch die deutsche Streicheraufstellung quasi im Breitwandformat daherkommt.
So schnell wie die Inszenierung ist auch der Bildschnitt; das Bühnengeschehen und Details in Großaufnahme, die einem
Theaterzuschauer verborgen bleiben, werden gut eingefangen.
Aber auch wenn Konzept und Umsetzung stimmig sind, so ist doch zu bemängeln, dass die existentielle Dimension des "Dramma giocoso” durch die zeitliche Verlegung verlorengeht. In einer Zeit der "freien Liebe” in der die Inszenierung angesiedelt ist, zählt das hehre Gut der Treue naturbedingt nicht mehr so viel wie zur Entstehungszeit. Die Story wird damit eher zu einer Lebensabschnitts-Partner-Episode - mehr Komödie, weniger Drama.
Vielleicht führt aber diese DVD wie auch schon die Inszenierung Leute, die Oper eher als langweilig und wenig gegenwartsbezogen empfinden, an "Cosi” heran - denn langweilig und verstaubt ist dieses "Hippie Musical” bei
weitem nicht; aber auch Kenner haben sicherlich ihre Freude an der neuen Sicht.
Peter Overbeck, 01.09.2007