bpb / 31.08.2007
Geschichte der RAF
Baader-Meinhof international?
Die RAF verfügte über enge internationale Verbindungen. Palästinensische Gruppen trainierten die deutschen Linksterroristen. Auch die Stasi unterstütze die Terroristen massiv. Die RAF suchte die
internationale Vernetzung und Unterstützung von Gesinnungsgenossen. Daher nannte sich das Kommando beim Anschlag auf Ernst Zimmermann 1985 nach dem getöteten
IRA-Aktivisten Patsy OHara.
Lange vor den Terroranschlägen der Al-Qaida in den USA am 11. September 2001 erschütterte in den
1970er und
1980er Jahren ein
"hausgemachter" Terrorismus die Bundesrepublik Deutschland. Die internationale Dimension des deutschen
Linksterrorismus nimmt sich auf den ersten Blick bescheiden aus, verglichen mit den Anschlägen des islamistischen Terrornetzwerks auf fast allen Kontinenten, seinen weltweit rekrutierten Kadern und seinen Nachrichtenwegen über das World-wide-web. Die Wurzeln der politisch motivierten Gewalt lagen großenteils in der Bundesrepublik, die RAF-Mitgliederwaren
Deutsche, und nur
selten kam es zu Anschlägen jenseits der Landesgrenzen.
Doch auch das Vorgehen von
Roter Armee Fraktion (RAF), der "Bewegung 2. Juni" und Revolutionären Zellen
(RZ) besaß eine
internationale Dimension. Die politisch motivierte Gewalt gilt zumeist weniger den unmittelbar Angegriffenen selbst, sondern dem dahinter vermuteten Gegner - etwa den
westlichen Demokratien und
der amerikanischen Führungsmacht (dem "Imperialismus").
Gerade die RAF betrachtete sich als Teil einer
weltweiten Front und pflegte intensive Kontakte zu anderen
(links-)terroristischen Organisationen in Westeuropa, was in
gemeinsamen Bekennerschreiben und Strategiepapieren zum Ausdruck kam.
Die internationalen Verbindungen nährten Motivation und Selbstverständnis (bzw. Selbstüberschätzung) der Terroristen und waren vor allem von praktischem Nutzen. So wurden gelegentlich knappe Ressourcen wie Waffen, Sprengstoff oder Geld miteinander geteilt. Vielfach wurde im
Ausland ein
militärisches Training absolviert und verfolgungsfreier Aufenthalt gesucht - meist im
Nahen Osten, zeitweilig aber auch in der
DDR. Nachfolgend gilt es zu prüfen, wie eng und bedeutsam die internationale "Anbindung" der deutschen "Stadtguerilla" tatsächlich war, wurde darüber doch schon vielfach spekuliert.
Dimensionen der Verflechtung
Die
deutschen Linksterroristen der 1970er und 1980er Jahre erklärten wie die studentische Protestbewegung von
1968, gegen die
Ausbeutung in der "Dritten Welt" zu kämpfen, und engagierten sich international in unterschiedlichem Maße.
Insgesamt blieb die "Bewegung 2. Juni" am stärksten auf ihr lokales Umfeld (in West-Berlin) konzentriert, suchte aber dennoch Unterstützung im Nahen Osten. Für ihre Vorläuferorganisation, die
"Tupamaros Westberlin", hatte die
palästinensische Befreiungsbewegung sogar die Rolle eines
"Geburtshelfers" gespielt. Denn der Anführer der
"Tupamaros", Rainer Kunzelmann, hatte im
September 1969 zusammen mit anderen bei der
Al-Fatah in
Jordanien den Umgang mit Waffen erlernt. Auch die Ideologie der Gruppe wurde dadurch beeinflusst, und fortan war ihr der
palästinensisch-israelische Konflikt wichtiger als der
Vietnam-Krieg. Aufgrund von Kontakten der "Bewegung 2. Juni" zu den Palästinensern war der
linksrevolutionäre Südjemen dann auch bereit, jene Terroristen aufzunehmen, die durch die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 freigepresst worden waren.
Die
RZ suchten seit ihrer Bildung im Jahr
1973 die Kooperation mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas
(PFLP), der zweitstärksten Fraktion innerhalb der
PLO. Nach einer gemeinsamen, jedoch umstrittenen Flugzeugentführung im Jahr 1976 nach Entebbe in Uganda kam es über die Frage der internationalen Koordination zur Spaltung.
Johannes Weinrich und Magdalena Kopp schlossen sich der Gruppe des
Top-Terroristen "Carlos" an.
Die hierarchischen Strukturen der RAF sowie ihre konspirative Abschottung hätten einer internationalen Vernetzung abträglich sein müssen. Jedoch existierte die Gruppe vergleichsweise lange, so dass sich internationale Bande entwickeln und festigen konnten. So erklärte sich die
RAF zur Verbündeten der
nordvietnamesischen FNL, der
PLO, der
nordirischen IRA und der
mosambikanischen Frelimo.
Der RAF-Angehörige Volker Speitel traf außerdem Vertreter der baskischen Terrorgruppe
ETA. Besonders die dritte Generation der RAF pflegte mit "wechselndem Erfolg" Kontakte zu Gesinnungsgenossen in Frankreich, Belgien und Italien. Ideologisch gerechtfertigt wurde dies im so genannten Mai-Papier von 1982 mit dem angeblich notwendigen Aufbau einer gemeinsamen
"antiimperialistischen Front" in Westeuropa. Doch nicht immer waren die Annäherungsversuche von Erfolg gekrönt. So benannte die RAF das Kommando beim Anschlag auf Ernst Zimmermann im Jahr 1985 nach dem getöteten IRA-Aktivisten Patsy O'Hara. Die nordirische Terrororganisation wies dies jedoch als "Schändung des Namens" zurück.
Verbindungen zum Nahen Osten
Da die deutsche "Stadtguerilla" ein potenzielles "revolutionäres Subjekt" hierzulande kaum finden konnte, boten sich Befreiungsbewegungen in der "Dritten Welt" als natürliche Verbündete an. Diese waren Adressaten (und Empfänger) von Zuspruch und Bestätigung, sie waren Vorbilder und Objekte der Identifikation. Die deutschen Linksterroristen stützten ihre Weltanschauung neben einem stark selektiv rezipierten
Marxismus-Leninismus insbesondere auf die
Befreiungsideologie aus der "Dritten Welt", etwa von
Che Guevara, Ho Chi Minh, Carlos Marighella und
Régis Debray.
...
In der Praxis schätzte die RAF, von der
ersten bis zur
dritten Generation, besonders die Kooperation mit der
palästinensischen Befreiungsbewegung.
Bereits wenige Wochen nach der Baader-Befreiung, dem inoffiziellen Gründungsdatum der RAF, reisten neben Andreas Baader auch Horst Mahler, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und andere zum Training bei der
Al-Fatah nach
Jordanien. Später suchte die RAF enge Kontakte insbesondere zum Chef der
PFLP, Wadi Haddad, der vom sowjetischen
KGB unterstützt wurde. In palästinensischen Trainingscamps in Jordanien, später im Südjemen und zuletzt im Libanon wurden RAF-Angehörige militärisch ausgebildet - neben Angehörigen der ETA, IRA und der Irischen Nationalen Befreiungsarmee. Bereits 1981 wurde angenommen, dass mindestens
jeder zehnte deutsche Terrorist eine Ausbildung in einem palästinensischen Lager durchlaufen hatte - der tatsächliche Anteil dürfte
weit höher liegen.
Im
Mai 1972 kam es angeblich zu einer Übereinkunft der RAF mit palästinensischen (sowie japanischen) Terroristen, sich fortan
gegenseitig zu unterstützen. Als die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" kurz darauf die israelische Olympiamannschaft in München überfiel, forderte sie die Freilassung von 234 Palästinensern aus israelischer Haft, wollte aber auch Baader und Meinhof auf freiem Fuß sehen. Im Jahre 1976 sollte dann in Nairobi ein gemischtes deutsch-palästinensisches Kommando ein israelisches Flugzeug abschießen. Mit der Entführung eines Lufthansa-Verkehrsflugzeuges im Herbst 1977 griff die
PFLP der deutschen Seite erneut massiv unter die Arme.
Kooperation mit palästinensischen Gruppen bedeutete vor allem punktuelle Zusammenarbeit bei Anschlägen und der Ausbildung - nicht so sehr weltanschauliche Auseinandersetzung. Dass palästinensische Waffenbrüder Seite an Seite mit ihnen kämpften, bestärkte die deutschen Linksterroristen in ihrer Motivation. Dabei waren die Kräfteverhältnisse eindeutig:
Die PFLP hielt tausende junger Männer unter Waffen, wohingegen die RAF wohl zu keinem Zeitpunkt mit mehr als einem Dutzend Mitglieder gleichzeitig im Nahen Osten präsent war. Allerdings waren die palästinensischen Terrorgruppen an westlichen Verbündeten interessiert, denn diese konnten zur Vorbereitung von Anschlägen viel unauffälliger durch Europa reisen.
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