Die Zeit / 18. September 2025 / Analyse von Steffen Richter und Maxim Kireev
Power of Siberia 2
Putins neues Pipeline-Glück
Russland und China planen eine neue Gaspipeline. Damit könnte
Gazprom sein verlorenes Europageschäft
ersetzen. Doch die Verbindung birgt Risiken – für beide Seiten.
Putins neues Pipeline-Glück
Wladimir Putin war ganz offensichtlich gut gelaunt, als Chinas Präsident Xi Jinping ihm Anfang des Monats auf einer Militärparade zum Ende des Zweiten Weltkriegs in China eine große internationale Bühne bot. Russlands Präsident ist wegen seines tödlichen Feldzugs gegen die Ukraine vom Westen so gut wie isoliert. Doch auf der Tribüne in Peking konnte er unter (mehrheitlich autokratischen) Staats- und Regierungschefs zeigen, dass er nicht allein ist. Kurz zuvor hatte er einen weiteren Erfolg für sich verbucht, der mit den Bildern von Xis martialisch-pompöser Waffenshow etwas unterging:
Offenbar hat
China sich
bereit erklärt, mit
Russland eine
zweite, große Pipeline zu planen, die
Gas aus den
gigantischen Reserven der J
amal-Halbinsel Westsibiriens bis
Nordostchina transportieren soll.
Power of Siberia 2 (PoS-2) heißt sie und könnte jährlich bis zu
50 Milliarden Kubikmeter Gas liefern. Das ist
etwas weniger als durch die inzwischen stillgelegte Pipeline Nord Stream 1 geflossen ist, die Russland unter der Ostsee mit Deutschland verbindet.
PoS-2 soll die Pipeline
Power of Siberia 1 (PoS-1) ergänzen, die zwischen 2019 und 2022 schrittweise in Betrieb genommen wurde und Erdgas aus
Ostsibirien nach
China bringt. Durch diese Pipeline sollen künftig
44 anstatt
38 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr nach China geliefert werden. Auch das wurde in Peking in einem Memorandum festgehalten, federführend sind die Unternehmen
Gazprom aus Russland und die staatliche
China National Petroleum Corporation.
Globale Energiemärkte verschieben sich
Sollte
PoS-2 gebaut werden, würde
China irgendwann ab den 2030er-Jahren insgesamt über
100 Milliarden Kubikmeter russisches Gas beziehen und so mehr als
ein Fünftel seines berechneten Bedarfs für 2030 decken. China ist heute der
weltweit größte Gasimporteur und
Russland sein
größter Lieferant. Inzwischen beginnt Russland auch
Flüssigerdgas (LNG) nach
China zu liefern. Über die russische Anlage
Arctic LNG 2 in der Arktis kamen in den vergangenen Wochen mehrere Hunderttausend Kubikmeter Flüssigerdgas nach China.
Diese
Lieferungen sind
politisch brisant, denn die USA
sanktionierten wegen des Ukrainekriegs nicht nur die Förderanlagen von
Arctic LNG 2, sondern auch mehrere von Russland für das Projekt angeschaffte
LNG-Tanker. Russland möchte am globalen LNG-Markt aber mitmischen,
Arctic LNG 2 soll mit einer Produktion von
19,8 Millionen Tonnen pro Jahr zu den
größten LNG-Anlagen des Landes werden.
China signalisiert mit dem Kauf, dass es sich von den USA und der EU nicht davon abhalten lässt, Russland zu unterstützen, und bereit ist, westliche Sanktionen zu ignorieren.
Mit einer Pipeline
Power of Siberia 2 verschöben sich die
globalen Energiemärkte auffällig in Richtung
China. Politisch wäre sie ein weiteres, starkes Signal für die vertiefte Annäherung Russlands an China. Doch ob PoS-2 wirklich gebaut wird oder zumindest in der Dimension, die man sich auf russischer Seite wünscht, bleibt offen. Die Angaben über das Memorandum vom Peking stammen vom russischen Energieriesen
Gazprom. China dagegen hat den Abschluss des Abkommens bis heute nicht bestätigt. Tatsächlich sollen Verhandlungen über die Umsetzung der seit Jahren von Russland gewünschten Pipeline in den
vergangenen 24 Monaten auf Initiative der chinesischen Seite praktisch eingefroren worden sein.
PoS-2 soll Verluste in Europa kompensieren
Die geplanten rund
50 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland sollten wahrscheinlich ursprünglich über
Nord Stream 1 und
2 in Richtung
Westen fließen.
...
Die derzeit bestehenden und geplanten Leitungen Richtung China, einschließlich PoS-2, würden insgesamt etwa
zwei Drittel von Gazproms
verlorenem Exportvolumen in Europa kompensieren.
Gazprom hat kein Geld für den Pipeline-Bau
Allerdings verkauft Russland sein Gas an China billiger als in die EU, durch den Ukrainekrieg ist die Putin-Regierung in Handelsfragen in der Defensive. Nach Angaben des russischen Wirtschaftsministeriums zahlt China derzeit umgerechnet 250 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter Pipelinegas. An der europäischen Terminbörse TTF liegt der Preis dagegen bei rund 400 US-Dollar. Der Grund für diese Differenz ist klar: Während Gazprom es in Europa mit vielen untereinander konkurrierenden Abnehmern zu tun hatte, ist China nun der letzte mögliche Käufer von zusätzlichem Pipelinegas aus Russland. Chinas Verhandler können also ihre Macht ausspielen. Auch deswegen sind zentrale Fragen zur Finanzierung, der zukünftigen Preisgestaltung und der tatsächlichen Menge des zu verkaufenden Gases offenbar ungeklärt.
Zwar hat
Wladimir Putin gegenüber
Reportern in
Peking noch gesagt,
"keine der beiden Seiten macht Geschenke – es handelt sich um für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarungen".
Doch bereits bei PoS-1 musste Russland den Streckenabschnitt durch Sibirien selbst bezahlen, obwohl Gazprom von China gern eine hohe Vorauszahlung dafür gehabt hätte. Es gibt keinen Anlass, anzunehmen, dass es bei PoS-2 anders sein wird. Der Bau wird zudem teuer für Gazprom: Von den 2.600 Kilometern geplanter Rohrleitung liegen 2.200 auf russischer Seite. Die Projektkosten könnten insgesamt bis zu
25 Milliarden US-Dollar betragen. "Sollte das Projekt voranschreiten, dürfte Russland den Großteil des Finanzierungsrisikos tragen, da China kaum einen Grund hat, schlechtere Konditionen als bisher zu akzeptieren", konstatieren Joseph Webster und Landon Derentz, Experten für Russland, China und globale Energiefragen am Atlantic Council. Zudem gibt es Hinweise, dass China nur dann wirklich bei PoS-2 mitmacht, wenn es einen Abnehmerpreis für das Gas erhält, der dem für russische Inlandsverbraucher nahekommt.
Gazprom könnte Panda-Anleihen aufnehmen
Geld, um diesen Bau zu bezahlen, hat Gazprom nicht. Die PoS-1-Leitung baute der russische Exportmonopolist in einer Zeit hoher Exporteinnahmen aus dem Europageschäft. Das ist jedoch auf einen Bruchteil geschrumpft. In den vergangenen Jahren hat der russische Exportmonopolist seine Investitionen in Förderung und neue Projekte deshalb reduzieren müssen. Nur dank steigender Preise für russische Konsumenten konnte der Konzern seine finanzielle Situation wieder stabilisieren und Gewinne einfahren.
Die russischen Investoren reagierten jedenfalls verhalten auf Gazproms China-Pläne. An der Moskauer Börse haben Gazproms Aktien seit Beginn des Monats mehr als acht Prozent an Wert eingebüßt. Offenbar fürchten die Anleger, dass die potenziellen Gewinne für Gazprom aus dem zusätzlichen Chinageschäft erst in ferner Zukunft liegen werden, während die
Baukosten den Konzern bereits in den
kommenden Jahren belasten könnten. Zumal die Kreditkosten in Russland derzeit wegen des 17-prozentigen Leitzinses hoch sind.
Eine Möglichkeit für
Gazprom wäre, sogenannte
Panda-Anleihen zu emittieren. So werden in Investorenkreisen in chinesischen Yuan nominierte Unternehmensanleihen von nicht chinesischen Unternehmen bezeichnet. Erst vergangene Woche hat
Gazprom von der chinesischen Ratingagentur
CSCI Pengyuan das höchste Kreditwürdigkeitsrating
AAA erhalten. Wie hoch die Zinsen für Gazprom sein könnten, bleibt allerdings offen. Zumal Käufer dieser Anleihen das Risiko sekundärer Sanktionen der USA und der EU einkalkulieren müssten. Das gilt auch für chinesische Banken, die solche Anleihengeschäfte tätigen.
China hat zuletzt den Gasimport diversifiziert
Politisch jedenfalls würde Putin mit der zusätzlichen Pipeline Russland noch stärker in die Abhängigkeit des Nachbarn China treiben. Putin kann nicht mehr ohne Xis Hilfe:
"Kein anderes Land kann Russland gleichzeitig einen riesigen Markt für seine Rohstoffe, moderne Technologie, logistische Nähe und Finanzinstrumente zur Umgehung westlicher Sanktionen bieten – und das alles, ohne Fragen zu dem brutalen Krieg zu stellen, den der Kreml gegen die Ukraine führt",
schreibt etwa
Politik-Analyst Alexander Gabuev vom
Carnegie Russia Eurasia Center.
China dagegen hat in den vergangenen Jahren Bemühungen unternommen, seinen Gasimport zu diversifizieren, um nicht zu sehr von Russland abhängig zu werden. Es bezieht inzwischen zunehmend Gas über Pipelines aus Zentralasien, an erster Stelle aus Turkmenistan, sowie über eine aus Myanmar, hinzu kommen mehrere neue Flüssigerdgasterminals. Der massive Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft wird die Volksrepublik zukünftig weit weniger abhängig von Gas- und Ölimporten machen.
Direkte Konsequenzen hätte die
zusätzliche Pipeline auf die großen LNG-Exportländer
USA und
Katar, denn
Verkäufe in die
Volksrepublik China würden zwangsläufig
zurückgehen oder gar nicht erst Fahrt aufnehmen.
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