Der Nahostkonflikt (Auszug)
2. Die Wurzeln des Nahostkonflikts
„Die Wurzeln des Konflikts liegen in der Entstehungsgeschichte des Staates Israel.“
2 Die wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Herausbildung einer
national-jüdischen Bewegung, des
Zionismus, am Endes des 19. Jh., die als Reaktion auf die zunehmenden Judenverfolgungen in Osteuropa – insbesondere in Polen und Russland – aber auch als Folge
wachsender Assimilationsprobleme westeuropäischer Juden verstanden werden kann.
Primäres Ziel des Zionismus wurde die Errichtung eines eigenständigen jüdischen Staates in Palästina, einem Gebiet, das
1919 von ca.
515 Tsd. Moslems,
65 Tsd. Juden, und
62 Tsd. Christen bewohnt wurde, dessen Grenzen zwar nicht eindeutig definiert waren
3, jedoch damals noch das Territorium Transjordaniens bzw. des heutigen Jordanien einschloß.
2.1 Theodor Herzl und der politische Zionismus
„Die Idee, durch die Schaffung eines jüdischen Gemeinwesens das Elend der osteuropäischen Juden zu lindern und ihnen damit einen Ausweg aus dem oft tödlichen Kreislauf von Unterdrückung und Verfolgung zu zeigen, hatte viele Väter.“
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So war schon
1880 in Russland eine Bewegung unter dem Namen
Chibat Zion (dt. „Zionsliebende“) mit dem Ziel gegründet worden, den vor den Pogromen flüchtenden Juden durch die Ansiedlung in Palästina eine Perspektive zu geben. Auch andere Autoren wie
Moses Hess, dessen Buch „Rom und Jerusalem – Die letzte Nationalitätenfrage“ bereits
1862 veröffentlicht wurde, oder
Leon Pinsker mit seiner 1882 verfassten Schrift „Autoemanzipation“ hatten das Thema eines jüdischen Nationalstaats schon vor
Theodor Herzl aufgegriffen.
Diese Publikationen waren in der Öffentlichkeit aber
wenig beachtet worden und auch Herzl selbst hatte von ihnen erst erfahren, als er gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereits seinen Ruf als Begründer des politischen Zionismus gefestigt hatte.
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Der in
Budapest geborene Wiener Journalist und Schriftsteller
Theodor Herzl (1860–1904) war der
bedeutendste Protagonist der zionistischen Bewegung und der „richtige Mann zur richtigen Stunde“, dem es „ganz konkret gelang, die bereits – besonders ausgeprägt in
Russland – bestehenden
Zionssehnsüchte aus ihrem religiösen Kontext herauszulösen und in politische, nationale Bahnen zu lenken.“
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Herzls Zionismusidee war nach Balkes Einschätzung
„nichts anderes als ein Ausdruck der Krise des jüdischen Selbstverständnisses im späten 19. Jh. und Lösungsmodell zugleich.“ 7 Zwar wird immer wieder die Dreyfus-Affäre als eines der Schlüsselerlebnisse angeführt, das Herzl zum überzeugten Zionisten habe werden lassen. Doch sei es – so Balke – vielmehr die
„neue Qualität des Antisemitismus [gewesen, K.S.], der den klassischen
Anti-Judaismus mit den in Mode kommenden
rassebiologischen Konzepten vereinte und radikalisierte“ und Herzl letztendlich bewogen habe,
„Assimilation und
Emanzipation als
gescheitert zu betrachten und einen
nationalstaatlichen Ansatz zu entwickeln“.
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Im Vielvölkerstaat Österreich hatte er beobachten können, wie Tschechen, Ungarn oder Kroaten nationale Eigenständigkeit forderten. Warum sollte dieser Ansatz nicht auch eine Option für die Juden sein?
1896 veröffentlichte
Herzl seine Ideen in der Schrift
„Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage.“
Unter den assimilierten Juden Westeuropas stießen die Thesen des Zionistenführers jedoch teilweise auf
erhebliche Vorbehalte. Insbesondere von den deutschen und englischen Staatsbürgern jüdischen Glaubens wurde befürchtet, durch das Bekenntnis zur Idee des politischen Zionismus in einen
Loyalitätskonflikt mit ihren jeweiligen Heimatländern zu kommen und dabei die gerade gewonnene rechtliche und gesellschaftliche Emanzipation wieder aufs Spiel zu setzen.
Hinzu kam, dass
orthodoxe Juden den
Zionismus als „
eine Art säkularer Tabuverletzung [bewerteten], da nur Gott ein solches Vorhaben ausführen dürfe“.
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Dessen ungeachtet lud Theodor Herzl 1897
Juden aus aller
Welt zu einem
Kongress nach
Basel ein, um ihnen
„das nationalistisch-politische Programm“ für einen
unabhängigen „Judenstaat“ vorzustellen.
10 Ergebnis dieses ersten Zionistenkongresses, dessen
204 Delegierte zumeist aus
Osteuropa kamen, war sowohl die Verabschiedung einer Resolution für die „Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“ wie auch die Gründung des
Zionistischen Weltkongresses. Vor allem aber hatte man erreicht, dass die öffentliche Diskussion über die Idee des Zionismus wieder belebt worden war.
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Die besondere – auch
Gewaltanwendung nicht ausschließende – Problematik der
Landnahme, die mit der Gründung eines Staates durch die Zionisten in Palästina verbunden sein würde, war Herzl und seinen Mitstreitern offensichtlich
bewusst, wurde aber mit der im damals noch imperialistisch geprägten Europa weitgehend akzeptierten Formel
„Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ kaschiert.
Herzl notierte dazu in seinem Tagebuch:
„Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern.“12
Die zionistische Bewegung verfolgte von Beginn an das Ziel, in Palästina eine
jüdische Mehrheit zu schaffen und
aller Welt klar zu machen, dass die
Juden als
Nachfahren der Hebräer die legitimen „Ureinwohner“ Palästinas seien und die
Anwesenheit der
Araber als
„illegal“ zu gelten habe.
David Ben Gurion, 1948 der erste
Ministerpräsident Israels, stellte hierzu 1937 fest:
„Das Land ist in unseren Augen nicht das Land seiner jetzigen Bewohner. [...] Wenn man sagt, dass Eretz Israel das Land zweier Nationen sei, so verfälscht man die zionistische Wahrheit doppelt. [...] Palästina muss und soll nicht die Fragen beider Völker lösen, sondern nur die Frage eines Volkes, des jüdischen Volkes in der Welt.“13
Herzl sei – so auch
Watzal – der Überzeugung gewesen, die
Judenfrage könne
nicht mehr durch Assimilation oder Emanzipation; d. h. durch das
„Verschmelzen der Juden mit anderen Völkern“ gelöst werden.
14 Paech und Stuby weisen indes darauf hin, dass die Forderung nach einem
jüdischen Staat in Palästina in ihrer
rein religiösen Begründung ahistorisch sei und letztlich die
Umsetzung einer
kolonialistischen Idee darstelle. So habe man das
Vorhandensein einer arabischen Bevölkerung
negiert „und die Warnungen vor den notwendigerweise folgenden Konflikten in den Wind“ geschlagen.
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Trotz des starken jüdischen Nationalismus und des „geschickten Vorgehens der Zionisten“ wäre – so Paech und Stuby weiter – das Projekt eines jüdischen Staates niemals ohne die „
Unterstützung der hauptsächlichen imperialistischen Interessenten in diesem Gebiet, Großbritannien und später die USA, zu realisieren gewesen“.16
...
Quelle:
Der Nahostkonflkt
BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Oldenburg, 2007
ISBN 978-3-8142-2081-9
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