
Zitat von
gurkenschorsch
Ich lebe in Bayern, nahe der tschechischen Grenze. Hier ist vor Dekaden die Industrie mehr oder weniger komplett zusammengebrochen (Porzellan und Co.). Dennoch haben sich die Leute aufgerafft und es geht den meisten wieder oder immer noch gut. Nichtsdestotrotz ist die Arbeitslosigkeit in unserer Region nicht von schlechten Eltern. Natürlich wandern viele Junge ab.
Was hier anders läuft? Hier gibt es zwar auch (genügend) Gutmenschen, aber mir ist bis dato noch keiner vor die Nase gelaufen, der sich über die Neuankömmlinge freut oder sich, bis auf eine einzige Arbeitskollegin, unentgeltlich und freiwillig für die Flüchtlinge einsetzt. Diese Aktionen werden dann aber meistens unter der Hand von Verbänden oder Institutionen wie der Caritas o.ä. getragen oder von bestimmten Parteien. Da wird dann aber auch bspw. der Umstand, dass sich 15 Freiwillige in einem 10.000-Seelen-Ort um 100 Flüchtlinge kümmern, als riesiger Erfolg und Beleg für die Hilfsbereitschaft angesehen.
Hinter vorgehaltener Hand oder, wenn man sich gut genug kennt, ist hier "jeder" gegen irgendwelche Flüchtlinge, zumal man bis in die 90er hinein nicht nur Probleme mit Türken hatte, sondern auch mit Russlanddeutschen. Die sind aber mittlerweile eher zahm, zumindest im Vergleich zu früher.
Natürlich gibt es hier auch Aktionen pro Flüchtlinge, die dann in den Tageszeitungen ausgeschlachtet werden, aber lustigerweise kommt mittlerweile auf eine Pro-Meldung mindestens ein Kontra-Leserbrief, den die Tageszeitung auch bereitwillig abdruckt.
Nahezu kein Mensch hier will das Ganze hier noch, weil fast allen klar ist, dass es unmöglich gut gehen kann. Bei uns sind die Menschen sehr stoisch und sie ertragen viel. Aber man sollte sie nicht zu lange reizen. Was dann passiert, weiß ich nicht, aber jedenfalls können aus den Leuten hier teilweise richtige Biester werden, wenn die sich auf den Schlips getreten fühlen und die drehen sich um 180°.
Unser 2000-Einwohner-Kaff war eines der ersten im ganzen Landkreis, das Flüchtlinge aufnahm. Seit es dieses Heim gibt, gibt es bis auf einen einzigen Fall kein Zusammenkommen von Einwanderern und Bevölkerung. Das einzige positive Beispiel ist, dass ein junger Kerl (glaube Tschetschene oder sowas?), der mit seinem Vater kam, hier in der örtlichen Jugendmannschaft Fußball spielt. Ansonsten: Null, Nichts, Nada. Zu Beginn wurden hier einige der Flüchtlinge für Gemeindearbeiten eingesetzt. Zwar sind die mittlerweile alle wieder weg. Aber von diesen gingen bis auf einen bereits alle nach kurzer Zeit nicht mehr zur Gemeindearbeit. Das bekommt man bei uns im Kaff sehr schnell mit. Der einzige Übriggebliebene hat dann auch kurz darauf die Arbeit eingestellt. Wir hatten hier auch eine Familie, die nach kurzer Zeit wieder weg war. Grund: Der Vater hatte in einer Stadt im Umkreis jemand gemessert. Das merkt man sich hier. Bis auf einige wenige komplett Verblödete will hier niemand mit den Leuten was zu tun haben. Es ist eine Mischung aus Angst, Ablehnung und Wut.
Viele, die vorher mal Gutmenschen waren oder so dachten, sind u.a. wegen sowas "kuriert", was ich gleich erzähle. Gewalt oder Kriminalität ist bei uns seitens der Flüchtlinge noch (!) relativ gering, aber es sind solche Sachen wie das mit der Gemeindearbeit, was den Leuten sauer aufstößt, oder auch Folgendes:
- Eine Gruppe von Jugendlichen hat für Flüchtlinge in der Nachbarstadt ein Kegelturnier veranstaltet, wobei veranstaltet das falsche Wort ist, man hat eher ein Turnier reserviert und das auf eigene Kosten, sowohl die Kosten für die Bahn als auch Speis und Trunk hätten die Jugendlichen selbst gezahlt. Zum ausgemachten Termin erschienen von den Flüchtlingen, die sich vorher in großer Zahl angekündigt hatten, genau so viele: Null.
- Das Gymnasium der Kreisstadt betreibt für die Schüler verschiedene AGs. Man räumte den Flüchtlingen aus dem Heim der Stadt die Möglichkeit ein, an der Schach-AG teilzunehmen, da sich unter den Flüchtlingen angeblich gute Schachspieler befunden hätten (Aussage Flüchtlinge/Helfer). Zum ersten Termin kamen drei Flüchtlinge, zum nächsten einer, zum darauffolgenden Termin keiner mehr.
- Zig Flüchtlinge beschwerten sich fortwährend bei ihren Betreuern, dass es bei uns so langweilig wäre. Keine Disco, keine Partymöglichkeiten. Um Arbeit hat sich da auch seitens der Flüchtlinge kaum jemand geschert.
Ja, solche Sachen sind es dann, die nicht nur Skepsis wachsen lassen, sondern teilweise auch Ablehnung. Ich weiß nicht, ob die meisten gemerkt haben, dass der "Hauptfeind" die Regierung ist, es würde mich aber nicht wundern.
So ist es bei uns im ganzen Landkreis und auch im Nachbarlandkreis. Zumal man hier sowieso schon relativ wenig Politikvertrauen an den Tag legt, da man häufig von der (Landes-) Regierung bzgl. etwaiger Versprechen enttäuscht wurde.
Du triffst hier beim Bäcker oder Metzger oder in Vereinen niemand, der darüber redet. Nicht positiv und nicht negativ. Aber frag jemand unter vier Augen und er wird dir sagen, dass er dem Ganzen nicht offen gegenübersteht.
Diese Verzweiflung a la "die Hilfe wächst in der Bevölkerung, was sind das nur für Idioten" oder "wir sind verloren, es gibt nur noch Gutmenschen" kommt m.E. nach v.a. von Leuten, die in Gebieten leben, in denen aufgrund der Wohlstands- oder Bevölkerungsstruktur das Gutmenschentum wirklich in relativ großer Zahl auftritt. Allerdings muss man dann immer auch beachten, dass diese Helfer a) faktisch in geringerer Zahl auftreten, als es einem die Medien glauben lassen und b) sind die Gutmenschen nicht davor "gefeit", bereichert zu werden und aufzuwachen.