AG Friedensforschung / von Joachim Guilliard
(Auszuege)
Kein "arabischer Frühling"
Kolonialkrieg gegen Afrika - Der Krieg gegen Libyen
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Kampf um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten Kontinent
Der neue Krieg der NATO wird von der überwiegenden Mehrheit der Staaten in der Welt abgelehnt. Die meisten Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika sind überzeugt, daß er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt wird, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. In Europa herrscht jedoch bei der Einschätzung der Ziele des neuen NATO-Krieges auch bei Linken häufig Konfusion. Viele bezweifeln, daß hinter der Intervention ökonomische und strategische Motive stehen könnten.
Die Tatsache, »daß Ghaddafi Libyen in den Weltmarkt und den neoliberalen Kapitalismus integriert« habe und »von einem Feind des Westens zu einem der verläßlichsten Partner in der Region geworden« sei, schreibt z.B. Ingar Solty in der Zeitschrift Sozialismus, schließe »die Möglichkeit aus, daß es beim Krieg gegen Libyen um dessen »Einreihung in den globalen Kapitalismus« gehe.[9]
Hinter dieser Einschätzung steht ein sehr oberflächlicher Blick auf die Entwicklungen in Libyen. Er ignoriert zum einen die massiven Zwänge, denen Libyen durch die UN-Sanktionen und die Kriegsdrohungen aus Washington ausgesetzt war, und überschätzt die Zugeständnisse an den Westen. Zwar sind alle großen Ölfirmen wieder im Land, doch zu sehr restriktiven Bedingungen. Das libysche Engagement für die afrikanische Einheit und Unabhängigkeit steht den Bemühungen der USA und der alten Kolonialmächte diametral entgegen, ihren Einfluß auszuweiten.
Riesige Ölvorkommen
Mit 46,6 Milliarden Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) verfügt Libyen über die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas und steht weltweit auf Platz acht. Da bisher nur ein Viertel der weiten Flächen des Landes auf Kohlenwasserstoffvorkommen untersucht wurden, sind die Vorkommen vermutlich noch wesentlich größer.
Nur ein Fünftel der bekannten Vorkommen wurde bisher erschlossen, Libyen liegt daher mit einer Fördermenge von etwa 1,7 Millionen Barrel Rohöl am Tag (bpd) hinter Angola und Nigeria. Um seine Reserven nicht zu verschleudern, fördert das Land nur halb so viel wie bis 1969 unter der Monarchie, als die großen westlichen Konzerne die Ölpolitik des Landes bestimmten. Nur in zwei Ländern sieht die Ölbranche das Potential, die Produktion in absehbarer Zeit verdoppeln zu können – in Libyen und im Irak. Libyen plant jedoch lediglich eine Steigerung auf 2,3 Million bpd. Aus Sicht der Ölmultis liegt allein hier schon ein erhebliches, brachliegendes Potential.
Nach dem Sturz des von den USA und den Briten eingesetzten Königs Idris im Jahr 1969 waren nach und nach die meisten ausländischen Unternehmen verdrängt und die Ölproduktion in die Hände der staatlichen Libyschen Nationalen Ölgesellschaft LNOC überführt worden. Dies war besonders für US-amerikanische Konzerne, die bis dahin 87,5 Prozent der Ölproduktion in ihren Händen hielten, ein herber Verlust. Libyen entwickelte sich bald zum Vorreiter der OPEC-Staaten und setzte als erstes Land höhere Preise für sein Öl durch. Innerhalb von zehn Jahren verfünffachten sich nun die Staatseinnahmen. Mit diesen Einnahmen konnte der Staat seinen Bürgern einen relativ hohen Lebensstandard verschaffen, den höchsten Afrikas. Sozialistische Ideen spielten bei allen damaligen Revolutionen eine wichtige Rolle. Libyen setzte sie jedoch wesentlich gründlicher um als andere Länder der Region. Gesundheit und Bildung sind seitdem kostenlos, wichtige Güter und Dienstleistungen werden subventioniert, Alte, Witwen und Waisen erhalten eine Rente, Arbeitslose finanzielle Unterstützung u.v.m.
Es gelang jedoch nicht, Libyens Abhängigkeit vom Erdölexport zu verringern. Niedrige Rohölpreise und die gegen das Land verhängten Sanktionen brachten die Wirtschaft in den 1990er Jahren an den Rand des Ruins. Das Bruttoinlandsprodukt hatte sich am Ende fast halbiert, jegliche Modernisierung der Infrastruktur war blockiert. Die libysche Führung suchte daher nun einen Ausgleich mit dem Westen und machte dabei erhebliche Konzessionen. U.a. lieferte sie 1999 zwei Offiziere an Großbritannien aus, die für den Bombenanschlag auf ein Verkehrsflugzeug über dem schottischen Lockerbie verantwortlich gemacht wurden, obwohl die Beweise dafür äußerst zweifelhaft waren.
Die UN-Sanktionen wurden daraufhin ab 1999 sukzessive gelockert und 2004 vollständig aufgehoben. Im Gegenzug öffnete Libyen seine Öl- und Gasindustrie für ausländische Unternehmen. Mittlerweile sind wieder alle großen US-amerikanischen und europäischen Konzerne der Branche im Land aktiv.
»Knebelverträge« für Konzerne
Die Bedingungen im nordafrikanischen Land sind für ausländische Firmen jedoch sehr rauh. Seit August 2004 werden die Öl- und Gasgeschäfte nach dem neuen sogenannten EPSA-4-System abgeschlossen (EPSA: Exploration and Production Sharing Agreement). Das Vergabeverfahren für die neuen Beteiligungsabkommen wird zwar als sehr transparent gelobt – den Zuschlag erhält derjenige, der sich mit dem geringsten Anteil am geförderten Öl bzw. Gas zufriedengibt –, für westliche Manager wie Bob Fryklund vom US-Multi ConocoPhillips enthalten die Abkommen jedoch die strengsten Konditionen der Welt. Westliche Medien sprechen sogar von »Knebelverträgen«.[10]
Geschäfte sind nach diesem System grundsätzlich nur in Partnerschaft mit LNOC oder anderen staatlichen Unternehmen möglich, die dabei stets die Mehrheitsanteile (meist 60 Prozent und mehr) und somit die Kontrolle behalten. Schon für den Abschluß eines Vertrages sind hohe Zeichnungsgebühren zu entrichten. Bei der zweiten, 2005 durchgeführten Bieterrunde mußten die Interessenten z.B. jeweils 133 Millionen Dollar allein für den Vertragsabschluß hinblättern und Investitionen in Höhe mehrerer hundert Millionen Dollar für Explorationen zusichern. Die Konzerne, die den Zuschlag erhalten, tragen anschließend den größten Teil der Entwicklungskosten eines Ölfelds, die LNOC bleibt jedoch alleinige Eigentümerin.
Generell ist der Anteil der Produktion, den ausländische Firmen für sich behalten können, mit durchschnittlich elf Prozent recht bescheiden. Doch dafür ist das Öl von bester Qualität und liegt sehr nahe bei den europäischen Abnehmern, an die rund 70 Prozent der libyschen Exporte gehen. Der Anteil libyschen Erdöls am Verbrauch der EU-Staaten liegt mittlerweile bei zehn Prozent, in Deutschland sind es sechs Prozent.
Innerhalb von drei Jahren führte die LNOC vier Bieterrunden durch und vergab dabei 52 Verträge an knapp drei Dutzend Gesellschaften aus 20 Ländern. Nicht nur die großen US-Konzerne zogen wieder in Libyen ein, sondern weit mehr noch russische, chinesische und andere asiatische Firmen. Die ergiebigsten Ölfelder blieben zum großen Ärger der Multis weiterhin ausschließlich der LNOC und ihren Töchtern vorbehalten.
Die Hoffnungen, daß Ausländern auch noch diese Filetstücke zugänglich gemacht werden, erfüllten sich nicht. Nach der vierten Vergaberunde entschied die LNOC, vorerst keine neue durchzuführen, sondern statt dessen die bestehenden Verträge nachzuverhandeln und dabei die älteren dem strengeren EPSA-4-Standard anzupassen – für die Ölfirmen waren dies schwere finanzielle Rückschläge.
Petro-Canada mußte z.B. für die Umstellung aller Verträge eine Abschlußgebühr von einer Milliarde Dollar bezahlen sowie Investitionen in Höhe von knapp vier Milliarden Dollar für die Erneuerung alter und die Erforschung neuer Öl- und Gasvorkommen bereitstellen. Gleichzeitig mußten die Kanadier die Reduktion ihres Anteils am Output auf zwölf Prozent akzeptieren. Anderen Firmen erging es nicht besser.
Die großen Konzerne versuchten sich natürlich dagegen zu wehren. Letztlich hatten sie jedoch wenig in der Hand. Da sie bereits erhebliche Summen in die Erkundung gesteckt hatten, kam ein Ausstieg nicht mehr in Frage. Die LNOC drohte zudem damit, die weitere Entwicklung der Ölförderung zukünftig auch allein durchzuführen.
Für weiteren Unmut sorgten vor zwei Jahren öffentliche Überlegungen Ghaddafis, angesichts sinkender Mineralölpreise einige Einrichtungen internationaler Ölkonzerne wieder zu verstaatlichen. Auch die Mitteilung der LNOC an die im Land aktiven US-Konzerne im März letzten Jahres, Washingtons erneut unfreundliche Politik könne negative Auswirkungen auf ihre Geschäfte im Lande haben, verunsicherte die Branche, deren Investitionsvolumen in Libyen mittlerweile auf über 50 Milliarden Dollar geschätzt wird.
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