Angesichts dieser Lage war die bolschewistische Führung entschlossen, das Getreide auf dem Dorf zu konfiszieren, um die Städter mit Brot zu versorgen, und die Bauern hungern zu lassen. Dies entsprach der Logik des Klassenkampfes und war zugleich ein Instrument, um die Bauern wegen ihres Widerstands gegen die Kollektivierung nachträglich zu bestrafen und für die Zukunft zu disziplinieren.
So führte die Stalin-Führung durch ihren rücksichtslosen Krieg gegen die Bauern die Hungersnot fahrlässig herbei. Als sich dann seit Herbst 1932 das ganze Ausmaß der Katastrophe abzeichnete, leitete die Führung nicht nur keine Hilfsmaßnahmen ein, sondern verschärfte durch gezielte Aktionen die Katastrophe und ist deshalb direkt für den Tod von Millionen verantwortlich, der trotz der knappen Getreideernte nicht zwangsläufig war.
Die Hungersituation wurde geleugnet und damit jede Hilfsmaßnahme im In- und Ausland unterbunden. Als dennoch Nachrichten über den Hunger nach Westeuropa und Nordamerika durchsickerten, wurden Sowjetdiplomatie und Propaganda angewiesen, dies als antisowjetische Hetze zurückzuweisen und sich jede Unterstützung für das hungernde sowjetische Dorf zu verbitten. Zugleich wurde der Export von Getreide aus der Sowjetunion, wenn auch in reduziertem Umfang fortgesetzt. 1931 hatte die Sowjetunion 5,2 Millionen Tonnen Getreide exportiert und im Hungerjahr 1933 waren es noch immer 1,7 Millionen Tonnen. Dafür kaufte die Sowjetmacht Maschinen und Industrieausrüstungen im Westen. Außerdem wurden auch in den Hungerjahren 1932 und 1933 staatliche Getreidevorräte in den Silos – obwohl in reduziertem Umfang - angelegt.
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Bisher war von der Hungersnot in den Getreide produzierenden Regionen der der Sowjetunion allgemein die Rede. Für die Ukraine und den mehrheitlich von Ukrainern bewohnten Kuban’ kamen nun weitere Verschärfungen hinzu, die den Hunger erst zum Holodomor, d. h. zum Terror durch Hunger, und zum Genozid machten.
Durch Beschluss des ukrainischen ZK vom 18. November 1932, den der von Stalin nach Char’kiv entsandte Molotov diktierte, wurden für die Bauern, die mit der Getreideablieferung im Rückstand waren, so genannte Naturalienstrafen eingeführt.
„Es wird ein zusätzliches Fleischablieferungssoll in Höhe des 15fachen Satzes der Monatsnorm dieser Kolchose sowohl vom gemeinschaftlichen als auch vom individuellen Viehbestand der Kolchosbauern festgesetzt“. In der Praxis führten die Naturalienstrafen dazu, dass die Requirierungskommandos sämtliche Nahrungsmittel in den Dörfern konfiszierten, einschließlich Rüben, Zwiebeln, getrockneten Pilze und Trockenobst. Sie lieferten damit die Bauern dem sicheren Hungertod aus. Anwendung fanden diese Naturalienstrafen gegen etwa 90% der Kolchosen in der Ukraine, nur etwa 10% hatten ihr Getreideablieferungssoll erfüllt.
Außerdem wurden mit diesem Beschluss des ZK der KP(b)U so genannte Schwarze Listen eingeführt. Für die Dörfer auf den Schwarzen Listen bedeutete das „die sofortige Einstellung der Lieferung von Waren, die vollständige Einstellung des kooperativen und staatlichen Handels und das Fortschaffen aller vorhandenen Waren aus den Koop-Läden“.
Damit wurde über viele Dörfer eine vollständige Blockade verhängt wie in einem Krieg, um die Bevölkerung auszuhungern.
Die Menschen nutzten seit alters die Möglichkeit, in Hungerjahren ihre Heimat zu verlassen und in zum Teil entfernten Gegenden auf Hamsterfahrten zu gehen. Auch im Winter 1932/33 suchten Hunderttausende insbesondere in Weißrussland und den angrenzenden Gebieten der RSFSR nach Nahrungsmitteln. Durch eine geheime Direktive vom 22. Januar 1933 – unterzeichnet von Stalin und Molotov – wurden die Ukraine und der Nordkaukasus von einander und von der übrigen Sowjetunion abgeriegelt. Hunderttausende wurden zwangsweise in ihre Dörfer zurückgeschickt. Der Verkauf von Eisenbahnfahrkarten in der Ukraine wurde zeitweise eingestellt. Alle diese genannten Maßnahmen galten nur für die Ukraine und den Nordkaukasus, nicht aber für die Hungergebiete an der Wolga und in Sibirien.
Wie lässt sich erklären, dass die Stalin-Führung mit gezielten Aktionen die Hungersnot in der Ukraine verschärfte und damit Millionen Menschen eben hier dem Hungertod auslieferte? Spätestens seit dem Sommer 1932 war Stalin zu der Überzeugung gekommen, dass der ukrainische Nationalismus Schuld an der unzureichenden Getreideaufbringung war, dass die Ukrainer also gezielt Widerstand gegen die Zentralmacht leisteten und dafür ein für allemal bestraft werden müssten. Am 11. August 1932 schrieb Stalin an Kaganovič, dass sich zahlreiche Rayonparteikomitees in der Ukraine gegen den Plan der Getreideablieferung ausgesprochen hätten und der Grund dafür sei, dass es in der KP der Ukraine zahlreiche „verrottete Elemente gibt, bewusste und unbewusste Anhänger von Petljura“, dem nationalen Führer aus der Bürgerkriegszeit, die nur darauf warteten, gegen Moskau loszuschlagen. „Wenn wir uns jetzt nicht daran machen, die Lage in der Ukraine in Ordnung zu bringen, dann können wir die Ukraine verlieren“. „In Ordnung gebracht“ wurde die Lage in der Ukraine durch den Hungerterror gegen das ukrainische Dorf und die gleichzeitigen umfassenden Säuberungen gegen die ukrainischen Nationalkommunisten und die nationale ukrainische Intelligenz.
Die Säuberungswelle in der Ukraine im Jahr 1933 war die umfassendste und blutigste, die bislang über die Sowjetunion hinweggegangen war. Sie traf die ukrainischen Schriftsteller und Künstler, Lehrer und Wissenschaftler sowie die untere und mittlere Führungsebene des Partei- und Sowjetapparats – die Liquidierung der obersten ukrainischen Führung verschob Stalin auf die Jahre 1937 bis 1939. Alle standen im Verdacht, für mehr Autonomie der Ukraine einzutreten und vielleicht sogar eine Lostrennung von der Sowjetunion anzustreben.