
 Zitat von 
Bergaffe
					
				 
				Hier ein Bericht  aus erster Hand – Beduinen in der Stadt  Daraa – es wird deutlich, wie dort im Frühjahr 2011 das blutige Schlamassel  seinen Ausgang nahm. Das autoritär-despotische Verhalten der örtlichen  Verwaltung wird nicht geleugnet. Bemerkenswert aber die ausgleichende  Rolle, die gerade Präsident Assad einnahm. 
Viel Spass beim Lesen
Wie alles begann
Ein Konflikt in der Beduinenstadt Daraa im Frühjahr  2011 war der Zündfunke, der Syrien in Brand setzte. Obwohl Präsident  Assad alle Forderungen der Bewohner erfüllte, begannen ausländische  Kämpfer mit dem Schießen.
Von Dorothea Schäfer
Geplant war es  schon lange. Angefangen aber hat es in Daraa, einer Stadt mit knapp  100.000 Einwohnern an der Grenze zu Jordanien. Obwohl Daraa eine  Beduinenhochburg ist wie Homs und Hama, hat man es anfangs im Westen so  dargestellt, als sei es der Beginn einer Studentenrevolte. Das war  falsch, denn den Studenten ging es in Daraa wie überall in in Syrien  durch die Bank gut. Es war ganz anders: Da war eine Gruppe Jugendlicher,  fast noch Kinder, die Anfang Februar 2011 verantwortlich zeichneten für  eine Aktion, bei der es zu Personen- und Sachschaden kam. Die  Fast-noch-Kinder landeten im örtlichen Gefängnis, wo man ihnen ungut  mitspielte. Es waren Tage vergangen, bis die Väter und Onkel und  Scheichs einen Termin beim Bürgermeister erreicht hatten. Sie wurden  vorstellig und baten: „Gebt uns unsere Söhne und Neffen zurück. Es sind  Tage vergangen, sie hatten Strafe genug – und es sind Kinder, einige  unter ihnen sind gerade erst sechzehn Jahre.“ Der Disput ging hin- und  her.
In dieser Gegend tragen die Beduinen traditionelle Bekleidung:  den langen Kaftan und als Kopfbedeckung Kufiya, ein weißes oder farbiges  Baumwolltuch, gehalten von einer meist schwarzen Baumwollkordel, dem  Aqal. Außer im ganz privaten Umfeld gehört es sich nicht, sich ohne  Kopfbedeckung zu zeigen; es wäre nicht ehrenvoll. Die Kopfbedeckung ist  ein Symbol für die Ehre, insbesondere die Aqal. „Gib uns unsere Kinder  zurück – sie sind das Kostbarste, dass wir haben. Wir ergeben uns Dir –  sag, was Du willst. Und als Pfand unserer Unterwerfung geben wir unsere  Ehre!“, sagten die Väter und Onkel und nahmen – welch ein Schritt! – zum  Zeichen, wie ernst es ihnen war, ihre Kufiyas und Aqals ab  und legten  sie vor dem Bürgermeister auf seinem Schreibtisch ab. Welch Geste!
Und  der Bürgermeister? Der machte eine wegwerfende Geste mit dem Arm und  fegte seinen Schreibtisch leer: „Weg mit diesem dreckigen Zeug…“ und mit  einer Handbewegung ließ er den in Kufiyas und Aqals manifestierten  Stolz der Beduinen im nächstbesten Papierkorb entsorgen. Nun… darauf hin  ging es recht heftig zu. Nicht nur auf dem Bürgermeisteramt – das ganze  Städtchen Daraa probte den Aufstand.
Die Kunde drang ziemlich  schnell zum Präsidenten, der umgehend reagierte: Die Kinder kamen, wenn  auch etwas lädiert (und wie gemunkelt wird, soll wohl auch eines gefehlt  haben) umgehend aus dem Gefängnis frei. Der Bürgermeister wie auch der  ebenfalls in die Affäre verwickelte Gouverneur wurden ihres Amtes  enthoben und zur Verantwortung gezogen. Und geübt im Umgang mit all den  Ethnien in seinem Land schickte der Präsident seine Entschuldigung an  die Väter, Onkels und Scheichs einhergehend mit einer Einladung zum  Gespräch im Präsidentenpalast. Ganz im Sinne der Beduinentraditionen  hieß es in der präsidentiellen Nachricht: „Nur ihr und ich – keiner  dazwischen!“
Kaum war die Nachricht überbracht, trafen Reisebusse aus  Damaskus ein, und nicht nur die Väter, Onkels und Scheichs nahmen  Platz, auch die Schulleitung, die Lehrer und der Vorstand des  Jugendfreizeitheims. Der Präsident entschuldigte sich: Es hätte niemals  vorkommen dürfen. Und er hörte dem zu, was ihm die  Beduinen  berichteten, und man diskutierte, was für die jungen Leute getan und was  verbessert werden konnte. Es wurde auch erörtert, wie es überhaupt zu  den Vorfällen kommen konnte – Graffiti und mutwillige Zerstörung an  Gemeinschaftseigentum werden in der Region bei der jungen Generation  nicht nur kaum praktiziert, sondern sind eher ziemlich unbekannt.
Die  Spur führte zu einer Lehrerin, die den Jugendlichen ausführlich  geschildert hatte, wie es im Westen zugeht, und sie zu ihrem Tun  ermutigt hatte. Von ihr hatten sie erfahren, dass dies „Revolution“ sei.  Ein zu dem gegebenen Kontext eher skurril anmutendes Detail, dem man zu  jenem Zeitpunkt nicht übermäßig Aufmerksamkeit schenkte – das kam  später dann erst später, als ein anderer Zusammenhang da war.
Irgendwann  dann ging es im Gespräch um Wiedergutmachung. „Was wollt ihr?“, fragte  der Präsident. Das Entrichten von Blutgeld oder ähnlichen  Wiedergutmachungen ist in Beduinenkreisen auch heute nichts  Ungewöhnliches, sondern eine nützliche und heutzutage zunehmend  praktizierte Technik, die Blutrache und ähnliche Fehden vermeiden hilft.
Da  war Verschiedenes, das sie sich zum Teil lange schon für ihr Städtchen,  für ihre Gemeinschaft, für die Familie gewünscht hatten. Der Präsident  sagte: Ja. Und: Ja. Und dann kam ein merkwürdiger Wunsch, der zentrale  Wunsch: Man habe aufgrund der Vorfälle derzeit das Vertrauen in die  Obrigkeit verloren, man brauche Zeit und Abstand, um dieses wieder  gewinnen zu können. Aus diesem Grund wolle man für einen näher zu  bestimmenden Zeitrahmen keine Staatspräsenz, insbesondere keine Polizei  mehr in Daraa. Der Präsident war verblüfft: Keine Polizei? Was sei denn  bei kleinkriminellen Vorfällen wie Diebstahl, Einbruch, Betrug? – „Wir  schützen uns selbst“, lautete die Antwort. Und die Regelung des  zeitweise nicht unerheblichen Verkehrsaufkommens an zentralen  Brennpunkten der City? – „Wir regeln das selbst“ Assad zögerte: Für wie  lange solle die Regelung denn gelten? Ein paar Wochen nur… Nun gut. Er  gewährte auch dies.
Die Väter, Onkels und Scheichs, auch die  Schulleitung, die Lehrer und der Vorstand des Jugendfreizeitheims nahmen  ihre Plätze in den Bussen wieder ein und fuhren heim. Dort gab es viel  zu berichten von der Reise nach Damaskus, und zunächst ließ sich alles  erstaunlich gut an: Man organisierte sich selbst und es funktionierte,  sogar der Straßenverkehr soll, nachdem die Beduinen die Regelung  übernommen hatten, reibungsloser funktioniert haben.
Es waren keine  zwei Wochen ins Land gegangen, da tauchten Fremde auf in Daraa. (Im  weiteren wird das Einsickern der Terroristen geschildert. – Den Artikel  vollständig lesen in der Printausgabe COMPACT 9/2012.)