Die wollen gar nicht die Bundeswehr reformieren
Potsdam/Berlin – Die Bundeswehr ist ein riesiger Sanierungsfall!
Das ist die Einschätzung von Prof. Sönke Neitzel (57). „Vor allem politisch fehlt aus meiner Sicht ein echter Reformwille – und zwar parteiübergreifend“, sagt der Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam in einem Interview mit der WELT (gehört wie BILD zu Axel Springer).
Verteidigungsminister Boris Pistorius (65, SPD) habe zweifellos mehr bewegt als seine Vorgänger – „aber die Zeiten sind auch anders, und die grundlegenden strukturellen Probleme sind ungelöst“.
Militärhistoriker Sönke Neitzel: „Derzeit wächst nur eines: massive Frustration innerhalb der Bundeswehr“
Militärhistoriker Sönke Neitzel: „Derzeit wächst nur eines: massive Frustration innerhalb der Bundeswehr“
Neitzel nennt in BILD ganz konkrete Beispiele: „Über 50 Prozent der Soldaten sind nicht im Kern der Auftragserfüllung eingesetzt, also im Ministerium, in Stäben, in Ämtern. Das heißt also nicht, dass die alle im Ernstfall nichts machen, es sind einfach zu viele in der Bürokratie und viele von denen sind im Ernstfall eben kaum zu verwenden, weil sie zu lange aus der Truppe raus sind, körperlich und handwerklich nicht mehr fit sind, zu alt usw.“ Sicherlich könne ein Teil auch noch im Territorialheer oder in den neuen Brigaden eingesetzt werden. Viele aus dem Überhang seien aber wohl nur noch für die Reserve sinnvoll zu verwenden.
„Es ist also komplexer. Entscheidend ist, dass keine Organisation, in der über 50 Prozent nicht im Kern der Auftragserfüllung arbeiten, effizient und effektiv sein kann“, sagt Neitzel zu Bild.
Der Experte rügt außerdem: „Wir haben 22 Prozent Offiziere – im Kalten Krieg waren es acht Prozent. Wir haben genauso viele Oberstleutnante wie Hauptgefreite. Und niemand im Ministerium scheint bereit, das strukturell zu verändern.“ Deshalb werde jede Reforminitiative letztlich in der Bürokratie versanden.
Neitzel schlägt eine „drastische Personalreform“ nach dem Motto „oben kürzen, unten aufbauen“ vor. „30.000 Offiziere und Unteroffiziere müssten frühpensioniert werden, das brächte Zug in den Kamin“, sagt Neitzel.
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