W&F 2018/1 / von Bernd Hahnfeld
Völkerrecht versus Atomwaffen
Der Atomwaffenverbotsvertrag
Seit dem Bau der ersten Atombombe nehmen deren Besitzer die gesamte Menschheit als Geisel für ihre eigenen politischen Ziele. Sie missachten die allen Staaten durch das humanitäre Völkerrecht gesetzten Grenzen und drohen unverhohlen mit dem Einsatz der Massenvernichtungswaffen. Sie treten ihre Rechtspflicht mit Füßen, ernsthaft Verhandlungen mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung der Atomwaffen zu beginnen und erfolgreich abzuschließen. Stattdessen behaupten sie, zu ihrem Besitz und ihrem Einsatz
berechtigt zu sei.
Nicht-Atomwaffenstaaten haben jahrzehntelang
erfolglos durch zahllose UN-Resolutionen die Ächtung der Atomwaffen verlangt. Jetzt verlieren sie die Geduld und wollen
völkerrechtliche Schranken setzen. Das sind positive Schritte, denn die Alternative wäre die Aufkündigung des Nichtverbreitungssystems, das bislang ihre einzige Hoffnung war.
Der am
7. Juli 2017 in New York von
122 Staaten vereinbarte
»Vertrag über das Verbot von Kernwaffen« (Atomwaffenverbotsvertrag)1 ist ein großer Schritt auf dem Weg zu einer
künftigen völkerrechtlichen
Nuklearwaffenkonvention, d.h. zu einem
verbindlichen Übereinkommen über das
Verbot von
Entwicklung, Erprobung, Herstellung, Lagerung, Transfer, Einsatz und
Drohung von Kernwaffen und über die Abschaffung dieser Waffen unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle.
Der Vertrag tritt 90 Tage nach der Hinterlegung der fünfzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft.2
Was regelt der Atomwaffenverbotsvertrag?
In weiten Teilen der Friedensbewegung wird die
irrtümliche Auffassung vertreten, dass der Vertrag mit seinem Inkrafttreten ein
allgemeines völkerrechtliches Atomwaffenverbot für
alle Staaten schaffe.
Der Atomwaffenverbotsvertrag ächtet zwar die Kernwaffen, indem er die
Verpflichtung enthält, unter
keinen Umständen Kernwaffen zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern, weiterzugeben, anzunehmen, einzusetzen oder mit dem Einsatz zu drohen, andere bei den verbotenen Tätigkeiten zu unterstützen oder Unterstützung anzunehmen und die Stationierung von Kernwaffen auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu gestatten.
Er regelt Meldungen und Sicherheitsmaßnahmen und zeigt den
Weg zur vollständigen Beseitigung von Kernwaffen auf.
Dieser Vertrag schafft jedoch
kein allgemeines, für alle Staaten
verbindliches Völkerrecht. Als Völkervertragsrecht bindet der Atomwaffenverbotsvertrag nur die Staaten, die ihn völkerrechtlich wirksam
ratifiziert haben.
Ein für alle Staaten, also auch für die Nichtvertragsstaaten, verbindliches Völkerrecht könnte durch den Atomwaffenverbotsvertrag nur entstehen, wenn er
völkergewohnheitsrechtliche Geltung gewänne. Das ist jedoch in absehbarer Zeit
ausgeschlossen, weil die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten sich strikt
weigern, den Vertrag zu unterzeichnen, und sich auch nicht so verhalten, als ob sie ihn
unterzeichnet hätten.
Ein völkergewohnheitsrechtliches Nuklearwaffenverbot entsprechend dem »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen« könnte aber nur
entstehen bei einer
längere Zeit andauernden
einheitlichen Praxis der Staaten und ihrer
Überzeugung, zu diesem Verhalten von Völkerrechts wegen verpflichtet zu sein.3
Was ist schon lange verboten?
Unabhängig von dem neuen Atomwaffenverbotsvertrag gilt bereits seit Jahrzehnten und auch künftig das völkergewohnheitsrechtliche Verbot, Atomwaffen einzusetzen oder anderen Staaten mit dem Einsatz zu drohen.
Darauf hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) in seinem auf Anforderung der UN-Generalversammlung am 8. Juli 1996 erstellten Rechtsgutachten4 ausdrücklich hingewiesen. In dem für alle Staaten verbindlichen völkerrechtlichen Gutachten hat der IGH festgestellt:
„Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.“ (Ziff. 105 (2) D)
Denn das humanitäre Völkergewohnheitsrecht
verbietet zwingend die Verwendung von Waffen, die
nicht zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und Zivilbevölkerung unterscheiden, die
unnötige Grausamkeiten und
Leiden verursachen, die
unbeteiligte und
neutrale Staaten in
Mitleidenschaft ziehen.
Offengelassen hat der IGH lediglich die
Völkerrechtswidrigkeit im Falle der
Existenzgefährdung eines Staates.
Aus dem IGH-Gutachten ergibt sich jedoch eindeutig, dass selbst im Falle einer
extremen Notwehrsituation, in der das Überleben eines Staates auf dem Spiele steht, ein
etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn dabei die
genannten Prinzipien und
Regeln des humanitären Völkerrechts
beachten werden könnten.
Nur im Hinblick auf die vom IGH seinerzeit technisch nicht auszuschließenden angeblich
»sauberen« kleineren taktischen Atomwaffen haben die IGH-Richter dargelegt,
„nicht genügend Grundlagen zu haben, die sie in die Lage versetzen, mit Sicherheit zu entscheiden, dass die Anwendung von Atomwaffen unter allen Umständen in Widerspruch steht zu den Prinzipien und Regeln des für den bewaffneten Konflikt verbindlichen Rechts“
(Ziffern 94 und 95).
Der IGH hat an
keiner Stelle des Gutachtens den
Einsatz von Waffen
erlaubt, die mit dem humanitären Völkerrecht unvereinbare Schäden anrichten.
Vielmehr hat er an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta durch die Regeln des humanitären Völkerrechts
eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden“ (Ziffern 40, 41, 42, 78).
Diese Argumentation wird untermauert durch die ausdrückliche Feststellung in dem Gutachten des IGH, dass
keiner der
Staaten, die in dem Verfahren für die
Rechtmäßigkeit des
Atomwaffeneinsatzes eingetreten sind, dem Gericht Bedingungen dargelegt hat, unter denen ein Einsatz
gerechtfertigt sein könnte.
Die zum Zeitpunkt des Gutachtens existierenden Atomwaffen – soweit deren Existenz von den Atomstaaten eingeräumt worden ist – erfüllten die Anforderungen des humanitären Völkerrechts
nicht. Das hat sich bis heute
nicht geändert.
Alle Atomwaffen können bis heute
nicht zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und Zivilbevölkerung unterscheiden,
nicht unnötige Grausamkeiten und Leiden vermeiden und auch
nicht vermeiden, unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft zu ziehen.
Folgerichtig weist die Präambel des Atomwaffenverbotsvertrages darauf hin, dass
jeder Kernwaffeneinsatz gegen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts verstieße. Das humanitäre Völkerrecht aber gehört zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“, die in Deutschland nach Art. 25 GG Verfassungsrang haben und Bestandteil des Bundesrechtes sind.5
Völkergewohnheitsrecht bindet alle Staaten – unabhängig davon, ob sie Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) sind oder ob sie dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Kritiker des Atomwaffenverbotsvertrages behaupten, dass dieser das Nichtverbreitungssystem des NVV beschädige und die atomare Abrüstung erschwere.
Zutreffend ist, dass nicht alle denkbaren Konfliktfälle geregelt sind und der Verbotsvertrag
kein Verifizierungssystem für die atomare Abrüstung enthält. Ein
Verifizierungssystem wäre jedoch Bestandteil einer noch zu vereinbarenden Atomwaffenkonvention, die bei den Vereinten Nationen bereits diskutiert wird.
Konflikte sind im
Einklang mit der
UN-Charta (Art. 18) zu regeln.
Was ändert sich für Deutschland?
Der Atomwaffenverbotsvertrag ändert auch nach seinem künftigen Inkrafttreten die Rechtslage in Deutschland grundsätzlich nicht. Sollte jedoch die Bundesregierung den in Kraft getretenen Vertrag unterzeichnen und der Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) dem Beitritt Deutschlands zum Vertrag per Gesetz zustimmen, würde er
90 Tage nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde für Deutschland
in Kraft treten.
Er würde die Bundesregierung völkerrechtlich verpflichten, von der US-Regierung den
unwiderruflichen Abzug der in Deutschland
stationierten US-Atomwaffen zu
verlangen, alle die Atomwaffen betreffenden Stationierungsabkommen und -vereinbarungen zu
kündigen, den
Übungsbetrieb der Bundeswehr mit Atomwaffen
einzustellen, der US-Regierung den Transport von Atomwaffen
in und
über Deutschland sowie die
Lagerung in Deutschland zu
untersagen und die
nukleare Teilhabe in der NATO zu
beenden.
Eine weitere Mitarbeit in der
Nuklearen Planungsgruppe der NATO und
anderen mit Atomwaffen befassten
militärischen Gremien wäre der Bundesregierung
verboten, soweit es dabei um vom
Atomwaffenverbotsvertrag erfasste Bereiche geht.
In jedem Fall muss die Bundesregierung
zur Kenntnis nehmen, dass bei den internationalen Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag und durch die Zustimmung der Vertreter von 122 Staaten am 7. Juli 2017 die
Mehrheit aller Staaten des Erdballes die
uneingeschränkte Illegalität von Atomwaffen
festgestellt hat.
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