Selenskys autoritäre Neigungen wurden bereits vor Putins Invasion deutlich. Schon 2019 hörte ich, wie er von seinen Untergebenen Propaganda forderte, um die Medien mit Lob zu überschwemmen, wenn seine Politik scheiterte. Heute hat er es geschafft: Eine riesige Armee von Stimmen stellt ihn als Gesicht der Demokratie und als Verkörperung der Ukraine schlechthin dar.
All ihrer Ressourcen beraubt, kann die Ukraine einem langwierigen Zermürbungskrieg nicht standhalten. Tausende ukrainische Männer haben Bestechungsgelder gezahlt – Zehntausende Dollar – um aus dem einzigen europäischen Land zu fliehen, das seine Grenzen für Männer im wehrpflichtigen Alter abgeriegelt hat. Diejenigen, die bleiben, leben in Angst und trauen sich kaum aus dem Haus, weil sie befürchten, auf der Straße, in Cafés oder Geschäften aufgegriffen und in Transporter gezerrt und an die Front geschickt zu werden. Einige der zuletzt Rekrutierten sind behindert oder chronisch krank. Viele erhalten vor ihrem Einsatz nur wenig oder gar keine Ausbildung. Zunehmend wird ihr Schicksal in den Rekrutierungsbüros besiegelt, wo die Offiziere darauf warten, bestochen zu werden. Ehefrauen, Freundinnen, Töchter und Mütter übernehmen nun traditionell männliche Berufe und kratzen jeden Cent zusammen, um Beamte zu bestechen, in dem verzweifelten Bemühen, Ausnahmen für ihre Angehörigen und für junge Männer zu erwirken, bevor diese das Wehrpflichtalter erreichen. Wer allerdings über die richtigen Regierungskontakte verfügt, ist von der Wehrpflicht befreit und genießt uneingeschränkte Bewegungsfreiheit.
Der Krieg hat Selenskyj uneingeschränkte Macht verliehen und seine Sicherheitskräfte können ungestraft handeln. In mindestens acht Frontregionen hat das Kriegsrecht zu Exzessen von Polizei und Militär geführt. Unter dem Vorwand, Kollaborateure zu jagen, durchsuchen staatliche Kräfte Häuser, durchsuchen Telefone und Laptops und nehmen Zivilisten willkürlich fest. In solchen Gebieten werden die Menschen einem Journalisten oder Meinungsforscher gegenüber niemals ihre wahren Gedanken offenbaren. Sie werden die vom Staat genehmigte Rhetorik nachplappern – Selenskyj als Held, die Ukraine als unzerstörbar. Und dann, unter vier Augen, werden sie sagen, was sie wirklich denken: dass sie ihn loswerden wollen.
Auf höherer Ebene werden Vorwürfe angeblicher russischer Verbindungen routinemäßig genutzt, um Unternehmen zu enteignen. Skandale um überhöhte Wiederaufbaukosten und Bestechungsgelder für Reisegenehmigungen sind weit verbreitet und spiegeln eine allgemeine Erosion des Vertrauens in die Regierung wider. Umfragen zeigen eine wachsende Enttäuschung unter den Ukrainern, wobei inzwischen über 70 Prozent glauben, dass die Regierung den Krieg für persönliche Zwecke ausnutzt. In einigen Regionen, die unter unerbittlichen Bombardierungen leiden, geben einige stillschweigend zu, dass sie lieber unter russischer Herrschaft leben würden. Das ist kein Verrat, sondern eine Folge von Selenskyjs Zerstörung der Demokratie. Da der Kampf keinen klaren Zweck mehr hat, suchen viele nun nach einer Alternative – einem pro-russischen Kandidaten, der bereit ist, ein Abkommen mit Wladimir Putin zu schließen, oder sogar nach der düsteren Einsicht, dass ein Leben unter russischer Flagge einem endlosen Krieg vorzuziehen sein könnte. Der oberflächliche Patriotismus, den Selenskyj fördert, bröckelt. Erschöpfung hat sich breitgemacht. Die Frage ist nicht mehr, ob die Ukraine gewinnen kann, sondern ob sie unter seiner Herrschaft überhaupt überleben kann.«
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