Deutscher Bundestag
Wissenschaftliche Dienste Nr. 18/24 (22. November 2024)
Aktueller Begriff Titel: Der Straftatbestand der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung (§ 188 Absatz 1 StGB)
Ausweislich einer
Pressemitteilung des
Bundeskriminalamts (BKA) zu einem von ihm im November 2024 koordinierten
„Nationalen Aktionstag gegen strafbare Hasspostings“ waren die zweithäufigsten zugrundeliegenden Straftaten Fälle der
Beleidigung von Personen des politischen Lebens gemäß
§ 188 StGB.
Dieser dem Schutz vor einer
„Vergiftung des politischen Lebens durch Ehrabschneidung und Verunglimpfungen“ (BVerfGE 4, 352) dienende Tatbestand lautet:
§ 188 StGB
Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung
(1) Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Gesetzgebungsgeschichte
§ 188 StGB wurde im
Jahr 1951 neu in das Strafgesetzbuch eingefügt (als
§ 187a StGB). Inhaltlich ging er zurück auf eine nach Artikel 48 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung erlassene
Verordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Schutz des inneren Friedens aus dem Jahr 1931 (RGBl. I, 699, 742 f.). Mit dieser Verordnung sollte der Ehrschutz verstärkt werden,
„um der zunehmenden Vergiftung des öffentlichen Lebens durch Verunglimpfung anderer und der wachsenden Verhetzung im politischen Kampf entgegenzuwirken“.
§ 1 der Verordnung lautete: Steht im Falle der üblen Nachrede (§ 186 StGB) der Verletzte im öffentlichen Leben und ist die ehrenrührige Tatsache öffentlich behauptet oder verbreitet worden und geeignet, den Verletzten des Vertrauens unwürdig erscheinen zu lassen, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten, wenn der Täter sich nicht erweislich in entschuldbarem gutem Glauben an die Wahrheit der Äußerung befunden hat.
§ 2 der Verordnung enthielt einen entsprechenden Tatbestand für den Fall der Verleumdung. Mit übler Nachrede und Verleumdung waren damit ausschließlich jene Ehrdelikte erfasst, denen
(nicht erweislich wahre oder unwahre) Tatsachenbehauptungen zugrunde liegen, nicht jedoch die Beleidigung, die auch ehrverletzende Werturteile erfasst. Diesem historischen Vorläufer entsprechend waren auch der 1951 in das StGB eingeführte §
187a StGB und spätere
§ 188 StGB auf die Grundtatbestände der üblen Nachrede und der Verleumdung beschränkt, die bloße Beleidigung also nicht erfasst.
Die
Ausweitung von
§ 188 StGB auch auf Fälle der
Beleidigung erfolgte erst mit dem
Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität im Jahr
2021 (BGBl. I 2021, 441). Zwar hatte der damalige
Gesetzentwurf der Regierungskoalition aus
CDU/CSU und
SPD eine derartige Erweiterung auf den Beleidigungstatbestand
nicht vorgesehen, sondern lediglich die „Verdeutlichung“, dass § 188 StGB „für Taten gegen Personen bis hin zur kommunalen Ebene gilt“ (jetzt: § 188 Absatz 1 Satz 2 StGB).
Die
Ausweitung des § 188 StGB auf Fälle der Beleidigung erfolgte aber im Rahmen der parlamentarischen Beratungen aufgrund der
Beschlussempfehlung des federführenden
Rechtsausschusses.
Zur
Begründung für die auf einen Antrag der Koalitionsfraktionen zurückgehende Änderung führte der Ausschuss an, der
Schutzzweck der Vorschrift spreche dafür, ihren Anwendungsbereich nicht auf die Behauptung falscher Tatsachen zu beschränken, sondern auf
Beleidigungen zu erstrecken. Denn auch diese seien
geeignet, das öffentliche Wirken von Personen des politischen Lebens
erheblich zu
erschweren (BT-Drs. 19/20163, S. 43).
Zuvor hatte es im Gesetzgebungsverfahren entsprechende Anregungen zu einer Tatbestandsausweitung auf Beleidigungsfälle gegeben, unter anderem im Rahmen einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses (Protokoll Nr. 19/91, S. 25, 27, 97) und in einer Stellungnahme des Bundesrats (BT-Drs. 19/18470, S. 18).
Teilweise wurde im
Nachgang auch
Kritik an der
Ausweitung geäußert:
§ 188 StGB werde „angesichts des hohen Gewichts der Meinungsfreiheit im politischen Meinungskampf häufig ins Leere laufen“ und
„den Eindruck eines ungerechtfertigten Sonderstatus für Politiker erwecken“ (Simon S. 602).
Strafverfolgungsvoraussetzungen
Die Ehrdelikte sind grundsätzlich als absolute Antragsdelikte ausgestaltet (§ 194 StGB, vgl. BeckOK StGB/Valerius, 63. Ed. 01.11.2024, § 194 Rn. 1). Voraussetzung einer Strafverfolgung ist hierbei stets, dass das Opfer einen Strafantrag stellt (§ 77 StGB). Im Rahmen der tatbestandlichen Ausweitung von § 188 StGB im Jahr 2021 wurde jedoch zugleich auch das in § 194 StGB geregelte Antragserfordernis hinsichtlich § 188 StGB modifiziert und letzterer zu einem
relativen Antragsdelikt umgestaltet. Eine Tat nach § 188 StGB kann seitdem auch
ohne Strafantrag des Verletzten verfolgt werden, nämlich wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des
besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
Allerdings sieht das Gesetz in diesem Fall wiederum eine
Rückausnahme vor: Selbst wenn die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält, kann die Tat
nicht verfolgt werden, wenn der Verletzte der Strafverfolgung
widerspricht (§ 194 Absatz 1 Satz 4 StGB). Die Ausweitung der Antragsbefugnis auf die Strafverfolgungsbehörde wurde damit begründet, dass gerade öffentlich – etwa im Internet – erfolgende Äußerungen mit diffamierendem Inhalt gegen politisch aktive Personen nicht auf den persönlichen Lebenskreis der betroffenen Person beschränkt blieben, sondern eine Außenwirkung entfalteten, die dazu führen könne, dass sich auch andere politisch aktive Personen aus der öffentlichen Diskussion zurückzögen oder von einem Engagement für das Gemeinwesen absähen (BT-Drs. 19/17741, S. 36).
In der
Sachverständigenanhörung des
Rechtsausschusses im Jahr 2020 war insofern von den
Befürwortern einer
Ausweitung ausdrücklich die Hoffnung geäußert worden, dass der zum damaligen Zeitpunkt
„so gut wie nie zur Anwendung“ kommende § 188 StGB durch die
gleichzeitige Ausweitung des Tatbestandes und die Modifizierung des Antragserfordernisses
zukünftig häufiger angewendet werden würde (Protokoll Nr. 19/91, S. 14, 25, 27).
Ausweislich der eingangs zitierten Pressemitteilung des BKA könnte sich diese Prognose möglicherweise erfüllt haben.
Literatur:
– Rühs: Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung: Welches Rechtsgut wird durch § 188 StGB geschützt? ZStW 2022, 51.
– Simon: Das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. JR 2020, 599.
– Trips-Hebert: Hass und Hetze im Strafrecht. Aktueller Begriff Nr. 28/16. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages.
Wissenschaftliche Dienste Nr. 18/24 (22. November 2024)
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Quelle: PDF Dossier
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