Tagesspiegel / 09.02.2005 / Alexander S. Kekulé
Die USA müssen ihre überalterten Atom- waffen erneuern
Das leidige Problem ist Liebhabern alter Autos bestens bekannt: Wenn Rost und Materialermüdung zuschlagen, sind Ersatzteile oft kaum zu bekommen. Die Stoßdämpfer, Wellen und Dichtungen von Anno dazumal werden nicht mehr hergestellt, neuere Teile passen nicht in die alten Karossen. Vollends desolat ist die Lage dann, wenn es den
Hersteller gar
nicht mehr gibt.
Die
USA haben die Entwicklung strategischer Atomwaffen Ende der 80er Jahre
eingestellt, der letzte Gefechtskopf wurde um
1990 gebaut. Die Modelle stammen größtenteils aus den
70er Jahren – damals waren sie so modern wie Plateauschuhe, der erste VW Golf und die Bee Gees. Heute haben die
nuklearen Oldtimer, die einmal für eine Lebensdauer von etwa
15 Jahren konstruiert wurden, im Mittel zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, einige sind sogar wesentlich älter.
Fachleute beobachten das
atomare Museum schon länger mit
Sorge. Die etwa
10 000 nuklearen Gefechtsköpfe der USA sind durch
Korrosion, Alterung von
Kunststoffen und
radioaktiven Zerfall angegriffen.
Oft sind
identische Ersatzteile jedoch
nicht zu bekommen, weil die
Werkstoffe von
damals nicht mehr zur Verfügung stehen. Besonders problematisch sind organische Materialien wie
Dichtungen, Klebstoffe,
Plastikteile und der
konventionelle Sprengstoff, mit dem die
Zündung von Atombomben
ausgelöst wird.
Wenn allerdings immer mehr
verschlissene Teile durch
neue, veränderte Module ersetzt werden, muss die
Funktionstüchtigkeit früher oder später einmal
überprüft werden.
Hier liegt das Problem der Atomingenieure: Sie dürfen mit ihren liebevoll gewarteten Oldtimern keine Probefahrt machen – seit dem Atomtestmoratorium von 1992 haben die USA keine Bombe mehr gezündet.
Da die alten Gefechtsköpfe ohnehin nicht eins zu eins ersetzt werden können, hat sich die US-Regierung kürzlich zu einem merkwürdigen Schritt entschlossen: Sie will stattdessen neue Atomwaffen entwickeln lassen. Ziel dieses „Reliable Replacement Warhead“ Programms sind möglichst wartungsfreie, robuste Kernwaffen mit langer Haltbarkeit, die auch in
50 Jahren noch mit tödlicher Sicherheit
explodieren, wenn der US-Präsident es befiehlt. Offiziell soll die Entwicklung der atomaren Dauerbrezeln zunächst nur mit neun Millionen Dollar finanziert werden. Kritiker sehen darin jedoch eine gefährliche Trendwende.
Tatsächlich steht zu befürchten, dass das Projekt die Entwicklung von Atomwaffen auf breiter Front reaktivieren wird. Die Notwendigkeit realistischer Tests trifft für neue Technologien weit mehr zu als für restaurierte Altmodelle, deren Tauglichkeit immerhin
jeweils mit
mindestens sieben unterirdischen Atomtests überprüft wurde.
Die USA arbeiten deshalb an einem Arsenal von Hightechmethoden, um neue Kernwaffen auch ohne Bombentests zu entwickeln. In der Lawrence Livermore Atomschmiede in Kalifornien entsteht dafür die leistungsfähigste Laseranlage der Welt. Zur Simulation von Kernexplosionen sollen mit Hilfe von 192 hoch energetischen Laserstrahlen atomare Mini-Verpuffungen gezündet werden.
Supercomputer berechnen aus den Daten dann dreidimensionale Modelle, nach denen neue Atomwaffen am Reißbrett entworfen werden können. Schließlich sollen die Neuentwicklungen dann eventuell doch
unterirdisch getestet werden, wobei allerdings die
Detonation durch
starke Drosselung der
Kettenreaktion verhindert wird.
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