Ntv:
Reisners Blick auf die Front
Russland bestimmt, wo Ukraine Kräfte einsetzen muss
16.10.2023
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Hätte sich diese Offensive irgendwie verhindern lassen?
Hätte die Ukraine zum Beispiel weitreichende Boden-Boden-Raketen gehabt, wie die amerikanischen Atacms, die immer wieder Thema sind, dann hätte man die Bereitstellungsräume der Russen gezielt in der Tiefe angreifen können, noch bevor die Offensive startete. Das konnten die ukrainischen Truppen aber nicht, denn diese Raketen mit hoher Reichweite wurden bislang nicht geliefert.
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Das klingt danach, als sei die Tatsache, dass Russland mehr Soldaten, mehr Gerät, mehr Kampfkraft zur Verfügung hat als die Ukraine, bei allen technologischen Entwicklungen noch immer ein wichtiger Faktor. Ist das so?
Trotz aller militärtechnischer Entwicklungen gibt es tatsächlich noch immer das Prinzip Masse. Wenn also Kräfte massiert eingesetzt werden können, dann gelingt in der Regel auch zum Beispiel ein Durchbruch durch feindliche Linien. Die Ukraine hat jedoch folgendes Problem: Sie bekommt immer wieder Waffenlieferungen, aber eben nie so viel, dass sie sie massiert einsetzen kann. Das ist das Dilemma.
Und die Folgen daraus?
Inzwischen haben sich vor allem die ukrainischen Offensivkräfte, diese insgesamt zwölf Brigaden, von denen der Westen neun ausgestattet hatte, signifikant verbraucht. Jetzt müsste der Westen sich entscheiden, wieder neu zu liefern, damit die Ukraine im Frühjahr überhaupt in die Offensive gehen kann. Denn dazu braucht sie neue Kampfpanzer, mehr Schützenpanzer, neue Artilleriesysteme. Das müsste jetzt über den Winter geliefert werden, damit die ukrainischen Streitkräfte die Initiative wieder zurückgewinnen können. Sonst geht sie möglicherweise an die russische Seite über. Das ist das, was wir jetzt gerade sehen: Plötzlich bestimmt Russland durch seine Angriffe, wo die Ukraine ihre Kräfte einsetzen muss. Die Ukrainer sind gezwungen zu reagieren. Es sollte aber genau andersherum sein. Die Ukraine sollte bestimmen können, wo die Russen reagieren müssen. Um dieses Ruder wieder herumzudrehen, sind weitere westliche Waffen unverzichtbar.
Mit Markus Reisner sprach Frauke Niemeyer
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