Frankfurt Rundschau / 06.01.2019
"Vertrauen geht verloren"
Es gibt Kritik am neuen Prostituiertenschutzgesetz - und Klagen über viele Unklarheiten.
In den Bordellen hängen bereits die Hinweise auf die gesundheitliche Beratung, die mit dem neuen Prostituiertenschutzgesetz, das zum 1. Juli in Kraft getreten ist, vorgeschrieben wird. Ingmar Bolle vom Gesundheitsdezernat der Stadt Frankfurt betont im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, dass es sich
nicht um
eine Untersuchung handelt, sondern mit den Frauen tatsächlich nur gesprochen wird.
Doch sicherlich wird diese neue Vorschrift auch Erinnerungen an den sogenannten
Bockschein wecken und das über viele Jahre bei den Prostituierten erworbene Vertrauen beschädigen, befürchtet Bolle. Bis
2001 wurde von den Prostituierten ein
amtsärztliches Gesundheitszeugnis, der sogenannte
Bockschein, verlangt.
Mit anonymen Beratungen und humanitären Sprechstunden, die Menschen ohne Krankenkasse eine medizinische Versorgung bieten, habe man ein „sehr gutes Verhältnis zur Klientel in den verschiedensten, sehr differenzierten Schattierungen der Prostitution“ aufgebaut. Jetzt müssen die Frauen namentlich registriert werden und sich in bestimmten Abständen vorstellen.
Dass das Gesundheitsamt bereits jetzt die Beratungstermine anbietet, wird von dem im Bahnhofsviertel ansässigen Verein Dona Carmen scharf kritisiert. „In dem allgemeinen Chaos bei der Umsetzung des Gesetzes“ könne niemand sagen, wann die vorgeschriebene Anmeldung bei den Ordnungsbehörden erfolgen könne. Die Bescheinigung über eine gesundheitliche Beratung ist Voraussetzung für die Anmeldung. Allerdings darf der Beratungstermin nicht mehr als drei Monate zurückliegen. Ob aber die Anmeldung innerhalb der nächsten drei Monaten funktioniert, wird vom Verein bezweifelt.
Im Ordnungsdezernat geht Andrea Brandl davon aus, „dass wir das machen“. Die notwendigen Ausführungsbestimmungen des Landes für das Anmeldeverfahren lägen aber noch nicht vor, so dass das Ordnungsamt nichts unternehmen könne. Insgesamt
2500 Prostituierte soll es nach Angaben von Brandl in der Stadt geben. Rund
800 arbeiten in Bordellen, viele in Wohnungen, andere auf dem Straßenstrich. Der Schutzgedanke müsse im Vordergrund stehen, sagt Brandl.
Erinnerungen an den „Bockschein“ werden wach
Das Gesundheitsdezernat hat vorgeschlagen, den gesamten Prozess „so kundinnen- und kundenfreundlich“ wie möglich zu gestalten. So kann sich Ingmar Bolle gut vorstellen, dass Ordnungsamt und Gesundheitsamt „in einer diskreten, zentral gelegenen gemeinsamen Liegenschaft“ anzutreffen sind. Dass würde den Frauen doppelte Wege ersparen. Brandl begrüßte diese Idee. Allein muss eine solche Liegenschaft erst noch gefunden werden.
Ingmar Bolle geht davon aus, dass es vor allem die Großbordelle „mit entsprechend Geld und Backoffice“ sein werden, die die Vorgaben des Prostituiertenschutzgesetzes schnell befolgen werden. So muss zum Teil richtig Geld in die Hand genommen werden – etwa wenn zusätzliche sanitäre Anlagen eingerichtet werden, weil die Freier und die Frauen nicht mehr dieselbe Toilette benutzen dürfen. Im Gesundheitsdezernat wird befürchtet, dass sich ein Teil der Prostitution, insbesondere im Bereich der stark verbreiteten Wohnungsprostitution, wieder „ins Dunkel zurückzieht“ und für „begleitende und unterstützende Angebote kaum erreichbar“ sein werde.
In einer gemeinsamen Stellungnahme aller kommunalen Spitzenverbände zum Gesetzesentwurf wurde das Gesetz als
„kontraproduktiv“ bezeichnet. Auch die Leiter der Gesundheitsämter aller deutschen Großstädten hätten das Gesetz abgelehnt, sagt Bolle und bedauert, dass all diese Bedenken von der großen Koalition in Berlin
nicht berücksichtigt worden seien.
Petra Weigand von der Beratungsstelle Tamara stellt ebenfalls das Gesetz in Frage. Es handele sich um ein Regelwerk, das niemand, der sich in der Szene auskennt, gewollt habe. Vor allem vermisse sie, dass es, anders als der Name suggeriert, nicht mehr Schutz als in der Vergangenheit für die Frauen gebe. Eine Frau, die Opfer von Menschenhandel geworden sei und ausgebeutet wird, werde sich gewiss nicht auf einem Behördengang offenbaren. Zumal viele in ihren Heimatländern wie Rumänien oder Bulgarien schlechte Erfahrungen mit den Ordnungsbehörden gemacht hätten.
„Letztlich geht es doch nur um Kontrolle“, sagt Weigand. Die Gesetzesvorgabe, dass Frauen nicht an ihrem Arbeitsplatz wohnen dürfen, habe mit der Realität im Bahnhofsviertel nichts zu tun. Da sei es üblich, dass die Frauen in ihrem Zimmer arbeiteten und wohnten.
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