FAZ / 20.12.2022 / Druckversion wg. Bezahlschranke
Kritik an Georgien
Ist Saakaschwili im Gefängnis in Lebensgefahr?
Angehörige und Anhänger des früheren georgischen Präsidenten sorgen sich wegen dessen Gesundheitszustand. Das EU-Parlament fordert, ihm die Behandlung im Ausland zu ermöglichen.
Georgien hat Erfahrung mit inkriminierenden Videos von Häftlingen. Aufnahmen von Folter in Gefängnissen trugen vor gut zehn Jahren dazu bei, dass die „Vereinte Nationale Bewegung“ (UNM) des damaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili die Macht in Parlamentswahlen verlor. Nun hat das Justizministerium des Landes Bilder veröffentlicht, die Saakaschwili zeigen, in einem Behandlungszimmer.
Mal liegt er, mal fällt er aus dem Bett, mal wirft er etwas und streitet mit unkenntlich gemachten Personen. Ganz am Schluss des rund zehnminütigen Clips geht er schleppend mit einer Stütze und lässt sich in einen Sessel fallen, angeblich am Montag voriger Woche.
Je nach Sichtweise, dokumentieren die Bilder einen eindeutigen Gesundheitsverfall des 55 Jahre alten Saakaschwili – oder, dass er nur „simuliert“, wie das Justizministerium äußerte. Es begründete die Veröffentlichung vom Mittwoch voriger Woche damit, dass Saakaschwili versuche, die Vollstreckung der Justiz zu behindern, die georgische Gesellschaft und die „internationalen Partner“ des Landes in die Irre zu führen.
Saakaschwili war im Herbst vorigen Jahres aus der Ukraine in seine Heimat zurückgekehrt.
Anlass waren Kommunalwahlen, die als wichtiger Test für die
Regierungspartei „Georgischer Traum“ galten. Ihr Gründer, der Milliardär
Bidsina Iwanischwili, ist Saakaschwilis
großer Gegner. Der frühere Präsident (2004 bis 2013) sieht Iwanischwili als Handlanger seines noch
größeren Gegners, des russischen Präsidenten
Wladimir Putin. Saakaschwili wurde nach der Rückkehr rasch festgenommen und trat in einen Hungerstreik. Er war bereits
2018 in Abwesenheit zu sechs Jahren Haft wegen
„Machtmissbrauchs“ verurteilt worden.
Drei weitere Strafverfahren laufen. Saakaschwili weist alle Vorwürfe als politische Verfolgung zurück.
Die EU stellt zwölf Bedingungen
Seit mehr als einem Jahr wird er schon behandelt. Aus einem Gefängnis in Rustawi wurde er Anfang November 2021 auf die Krankenstation einer anderen Haftanstalt verlegt. Schon damals erschienen Videos, die offenkundig Saakaschwili schaden sollten. Bald darauf kam er in ein Militärkrankenhaus in der Stadt Gori und beendete nach 50 Tagen seinen Hungerstreik. Seit Mai wird Saakaschwili in einem zivilen Krankenhaus der Hauptstadt Tiflis behandelt. Von dort stammen nun die Aufnahmen, deren Veröffentlichung das Ministerium mit „großem öffentlichen Interesse“ begründete. Saakaschwilis Anwälte rügten, dass die Bilder illegal, da ohne Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht worden seien.
Die Angehörigen Saakaschwilis und die UNM sind wegen dessen Zustand so besorgt, dass sie vermuten, sein Leben sei in Gefahr. Die Verteidiger veröffentlichten Anfang Dezember den Bericht eines amerikanischen Toxikologen, der auf der Grundlage von Nägeln und Haaren Saakaschwilis befand, dieser sei „mit einem Schwermetall vergiftet“ worden und überdies durch eine Mischung nicht aufeinander abgestimmter Medikamente in Gefahr. Kurz darauf befand eine von Georgiens Menschenrechtsbeauftragter bestellte Gruppe ärztlicher Fachleute, Saakaschwilis Gesundheitszustand habe sich „jäh verschlechtert“ und sei „ernst“. Saakaschwili habe rasch an Gewicht und Muskelmasse verloren, leide an Blutarmut und Magersucht. Die aktuelle Therapie sei „nicht effektiv“.
Die Menschenrechtsbeauftragte Nino Lomdscharia sagte danach, Saakaschwilis Haftstrafe müsse wenigstens ausgesetzt werden. Am vorigen Donnerstag haben vier Mitstreiter Saakaschwilis einen Hungerstreik im Parlament begonnen, mit dem sie erreichen wollen, dass Saakaschwili zur Behandlung in ein anderes Land verlegt wird. Doch bisher lässt die Regierung alle Appelle ins Leere laufen; aus dem Regierungslager wird er als
„historischer Krimineller“ bezeichnet.
Für Georgien ist der Fall unbequem. Er setzt das Land wachsender Kritik aus den westlichen Partnerländern aus EU und NATO aus. Schon als die EU im Juni die Ukraine und Moldau als Beitrittskandidaten akzeptierte, verweigerte sie Georgien diesen Status. Wesentliche Gründe dafür waren die Instrumentalisierung der Justiz gegen Oppositionelle und der übermäßige politisches Einfluss Iwanischwilis, der zwar kein Amt innehat, aber informell die Regierungspolitik bestimmt. Um Beitrittskandidat zu werden, muss Georgien nun zwölf Bedingungen erfüllen. Darunter sind eine „Deoligarchisierung“, eine Justizreform, Stärkung der Medienfreiheit, und Bemühungen um eine Überwindung der politischen Polarisierung im Land.
Vorige Woche hat das EU-Parlament mit deutlicher Mehrheit einen Bericht zum Stand der Beziehungen zu Georgien angenommen, in dem die Entwicklung in dem Land noch schärfer als bisher beurteilt wird. Darin wird die Forderung nach personenbezogenen Sanktionen gegen Iwanischwili für den Fall erhoben, dass der Verdacht erhärtet wird, seine Unternehmen wirkten an der Umgehung von Russland-Sanktionen mit. Das EU-Parlament greift in der Resolution auch den Fall Saakaschwilis auf. Die georgischen Behörden hätten die volle Verantwortung für dessen Gesundheit und „müssen verantwortlich gemacht werden, sollte ihm etwas passieren“. Das Parlament fordert, Saakaschwili eine Behandlung im Ausland zu ermöglichen. Bleibe der frühere Präsident in Haft, „dann hat das natürlich Auswirkungen darauf, wie wir die Erfüllung der zwölf Prioritäten beurteilen“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler.
Quelle: F.A.Z.
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