Bayerische Rundfunk / 28.01.2021
Inzidenz von 10: Experten stellen "No-Covid"-Strategie vor
Wie rauskommen aus der Pandemie – dazu schlägt eine Gruppe von 13 europäischen Wissenschaftlern eine "No-Covid", also eine "Null-Covid"-Strategie vor. Für das Ziel der europaweiten Inzidenz von unter 10 fordern die Experten rasche Maßnahmen.
Schnell, streng und europaweit:
Diese
drei Punkte sind der Kern der "No-Covid"-Strategie einer Gruppe von 13 europäischen Wissenschaftlern. Bei ihrer digitalen Vorstellung heute betonen die Autoren: Wegen der hohen Fallzahlen und der neuen Virusvarianten muss die Corona-Eindämmung auf dem ganzen Kontinent endlich vereinheitlicht werden. Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut:
"Wir sind keine Insel, deswegen wollen wir zusammenarbeiten und eine Lösung finden, sodass ein erfolgreiches Pandemie-Management in einem Land nicht gefährdet wird durch andere Regionen, wo das Virus möglicherweise außer Kontrolle gerät."
Lockerungen in Zonen mit einer Inzidenz von unter 10
Der Plan der Expertengruppe sieht vor, den Lockdown überall dort so lange beizubehalten, bis die Inzidenz von 10 unterschritten wird. In sogenannten lokalen "Grüne Zonen", die diesen Wert erreichten, könnten dann erste Lockerungen stattfinden wie Schulöffnungen. Ebenso brauche es kleine, soziale und stabile Gruppen zu Hause und am Arbeitsplatz anstelle von ständig wechselnden Kontakten.
7-Tage-Inzidenz und mehr: Corona-Zahlen in Bayerns Landkreisen
Ein unkoordiniertes Stop-and-Go von Lockdowns der einzelnen Staaten helfe nicht mehr weiter bei der Virusbekämpfung, sagt Clemens Fuest, Präsident vom Münchner Ifo-Institut. Erst wenn ein europaweit einheitliches Vorgehen die Fallzahlen deutlich senke, könne sich auch die Wirtschaft wieder erholen, so Fuest.
Fuest: "Selbst wenn das Kino öffnet, gehen Menschen nicht hin"
Laut dem Volkswirtschaftler gehe nämlich aus US-Studien hervor. Die Wirtschaft leide mehr unter dem Virus als unter dem Lockdown:
"Sie können die Wirtschaft nicht retten, indem Sie trotz Infektionen einfach öffnen. Das hat einfach damit zu tun, dass sehr viele Menschen eben nicht ins Kino oder Restaurant gehen, weil sie nicht dürfen oder weil das geschlossen ist, sondern weil eben das Virus da ist. Also selbst wenn das Kino öffnet, gehen die Menschen nicht hin."
Kritik wegen zu geringen Corona-Tests an Schulen
Die Vorstellung der Pläne nutzt Fuest für eine Kritik an Bund und Ländern - die Testkapazitäten an den Schulen seien hierzulande zu gering:
"Warum haben wir keine flächendeckenden Tests in den Schulen? Wir sind weit davon entfernt, hier das zu tun, was möglich ist und was andere Länder bereits tun.“"
Abstand, FFP2-Masken, Verbesserungen an der Corona-Warnapp und eine strengere Kontrolle der Quarantäne – die meisten Vorschläge der "No-Covid"-Gruppe sind bekannt.
Keine Grenzschließungen, dafür Antigen-Schnelltests
Auf die Frage, ob zur Wahrung einmal erreichter niedriger Infektionszahlen Grenzschließungen vonnöten wären, heißt es: Nein, dafür Antigen-Schnelltests, die das Eintragen des Virus von einem ins andere Land verhindern.
Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz Zentrum plädiert dafür, nicht nur auf die Auslastung der Kliniken zu blicken, die Infektionszahlen müssten insgesamt weiter gedrückt werden:
"Wir sagen, dass niedrige Infektionszahlen in der gesamten Bevölkerung der beste Weg sind, auch vulnerable Gruppen in allen Bereichen zu schützen."
Brinkmann warnt:
"Varianten könnten Immunschutz überlisten"
Bis die Impfung ausreichenden Schutz bietet, wird es laut Brinkmann noch bis Ende des Jahres dauern. Bis dahin brauche es einen stringenten Plan. Und: Virus-Varianten könnten auch aggressiver werden, warnt Brinkmann.
Wann werde ich geimpft? Rechnungen mit vielen Unsicherheiten
Dies sei besonders dort der Fall, wo es hohe Infektionszahlen gebe:
"Es kann passieren, dass es Varianten gibt, die auch diesen Immunschutz überlisten können und das wäre natürlich ein sehr großes Problem."
Gesundheitsminister Spahn skeptisch gegenüber "No-Covid"-Plänen
Vor einer Woche hatte Gesundheitsminister Spahn den Forderungen der "No-Covid"-Strategie eine Absage erteilt. Auch anderen Experten sehen die Zielmarke kritisch. Was noch weiter konkret getan werden müsste, um die Inzidenz auf unter 10 zu drücken, das will der
Zusammenschluss der Forscher demnächst vorstellen.
[Links nur für registrierte Nutzer]