Die Gründe für die relativ langsame Verbreitung der Epidemie in Japan sind noch nicht vollständig klar. Aber als ein Grund gilt, dass viele Japaner schon vor der Krise die Protokolle und Rituale der Infektionskontrolle beherzigten, die der Rest der Welt erst lernen musste. Regelmässiges Händewaschen und Gurgeln wird schon seit Jahren selbst in Kindergärten gelehrt. In den vergangenen Jahren tauchten zudem immer häufiger Handdesinfektionsmittel in Lobbys von Gebäuden und Unternehmen auf.
Japan ist eine Nation der Maskenträger
Ausserdem sind die Japaner bereits seit langem eine Nation der Maskenträger. 2018 verbrauchten die 127 Millionen Bewohner 5,5 Milliarden Masken. Zudem gehört in Japan soziale Distanzierung, zumindest teilweise, zur Tradition: Statt Umarmungen, Küsschen und Händeschütteln verbeugen sich Japaner bei der Begrüssung und beim Abschied. Da haben Viren weniger Chancen, sich zu verbreiten.
Und zu guter Letzt fehlt ein Element, das in Südkorea und anderen Ländern zu grösseren Clustern beigetragen hat: eine monotheistische Massenreligion. Es gibt nur wenige Kirchen und noch weniger Moscheen, in denen sich grosse Menschenmengen treffen. Und in den heimischen buddhistischen Tempeln und shintoistischen Schreinen wird im Freien oder in kleinen Gruppen in gut durchlüfteten Hallen gebetet.
Als Japans Ministerpräsident Shinzo Abe Ende Februar überraschend eine Schliessung aller Schulen forderte, kamen dann noch weitere Elemente gesellschaftlicher Abstandswahrung hinzu. In vorauseilendem Gehorsam führten viele Grosskonzerne innerhalb weniger Tage in grossem Massstab ein, was ihnen vorher nie gelungen war: Telearbeit. Die Tokioter Büros vieler Grossunternehmen sind bereits seit Anfang März weitgehend verwaist.
Doch ab Mitte März wurde auch den Clusterjägern allmählich bewusst, dass die Strategie, die im dünnbesiedelten Hokkaido funktioniert hatte, in den dichtgedrängten Metropolen versagte. Immer öfter trafen sie auf Fälle, bei denen sie die Infektionsketten nicht zurückverfolgen konnten.