Am Vormittag gegen 9.30 Uhr begab sich der Chefdolmetscher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Dr. Paul Schmidt, in die Reichskanzlei und bahnte sich durch das Gedränge nervös wartender Minister, hoher NS-Funktionäre und Militärs einen Weg zum Arbeitszimmer des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler, der an seinem Schreibtisch saß.
Außenminister Joachim von Ribbentrop stand etwas rechts von ihm am Fenster. Der Chefdolmetscher entnahm seiner Aktentasche ein folgenschweres Dokument, das ihm um 9 Uhr der britische Botschafter Sir Neville Meyrick Henderson im Arbeitszimmer des "verhinderten" Ribbentrop im Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße 76 überreicht hatte.
Schmidt hat diese beklemmende Szene nach dem Krieg beschrieben: "Beide blickten gespannt auf, als sie mich sahen. Ich blieb in einiger Entfernung vor Hitlers Tisch stehen und übersetzte ihm dann langsam das Ultimatum der britischen Regierung.
Als ich geendet hatte, herrschte völlige Stille ... Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. Er war nicht fassungslos, wie es später behauptet wurde, er tobte auch nicht, wie es wieder andere wissen wollten. Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz.
Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. ,Was nun ?' fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, dass ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe. Ribbentrop erwiderte mit leiser Stimme: ,Ich nehme an, daß die Franzosen uns in der nächsten Stunde ein gleichlautendes Ultimatum überreichen werden.'"
Auf diese Nachricht hin herrschte bleiernes Schweigen. Göring wandte sich an mich und sagte: "Möge uns der Himmel gnädig sein, wenn wir diesen Krieg verlieren!" Goebbels saß in einer Ecke, niedergeschlagen, in sich gekehrt; er sah aus wie ein begossener Pudel. Überall sah ich konsternierte Gesichter, selbst bei Parteimitgliedern der unteren Ränge, die sich im Saal befanden."
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