Manager Magazin / 11.08.2020
USA contra deutsche Gasinteressen
Diese Konzerne sind an Nord Stream 2 beteiligt
An der deutschen Ostseeküste ist alles bereit für die aus Russland stammende Pipeline Nord Stream 2, doch die USA drohen mit Sanktionen. Wer an dem Projekt beteiligt ist - der Überblick.
Die
BASF-Tochter Wintershall Dea ist mit
15,5 Prozent an der
Nord Stream AG beteiligt, der die 2011 eröffnete erste Ostseepipeline gehört. Beim Nachfolgeprojekt
Nord Stream 2 gilt
Gazprom als
Alleineigentümer und die
westlichen Partner als
Finanzinvestoren, die je
ein Zehntel der
Baukosten (derzeit geschätzt auf
9.5 Milliarden Euro) tragen. Diese Struktur wurde als Reaktion auf EU-Kritik an der Röhre gewählt, die osteuropäische Länder wie Polen, Ukraine oder Weißrussland für den Gastransit
entbehrlich macht.
Für
Wintershall-Dea-Chef Mario Mehren (49) steht mit Nord Stream einiges auf dem Spiel. "Russland ist für Wintershall die wichtigste Region! Und Russland bleibt für Wintershall die wichtigste Region", beteuerte der Manager 2018. "Im Interesse der europäischen Kunden" sei die auch von den USA betriebene Kritik "sicher nicht". Wintershall arbeitet schon
seit Jahrzehnten mit
Gazprom zusammen. In
Westsibirien ist das deutsche Unternehmen an zwei großen Erdgasfeldern
beteiligt, aus denen der Stoff über Nord Stream in deutsche Heizungen, Industriebetriebe oder Kraftwerke strömt.
2015 tauschte Wintershall seine Anteile an der deutschen Gashandels und -speicherfirma
Wingas gegen
weitere Förderlizenzen in Russland.
Für den
Mutterkonzern BASF - in der neuen Industriestrategie der Bundesregierung namentlich als schützenswerter "Champion" genannt - ist W
intershall nicht nur einer der wichtigsten Gewinnbringer. Das
Erdgas aus
Russland wird auch als
Grundstock für die
Chemieproduktion ebenso wie als
Brennstoff für die
werkseigenen Kraftwerke gebraucht.
Wintershall ist schon Deutschlands größter Öl- und Gasproduzent. Mit der Übernahme der bisher von*Maria Moraeus Hanssen (53)*geführten Hamburger
Dea soll Mehrens Firma aber auch zu einem "europäischen Key Player" aufsteigen, der mit den globalen Multis mithalten kann. Der russische Vorbesitzer von Dea,
Michail Fridman, ist nun als Partner von BASF
Großaktionär von Wintershall Dea.
Neben Wintershall ist auch der österreichische
Wettbewerber OMV, geführt von Ex-Wintershall-Chef Rainer Seele, mit einem Zehntel der Anteile an Nord Stream 2 beteiligt. Seele (59) sieht die US-Sanktionen als "Schlag gegen Europa und den engen Bündnispartner Deutschland" und fordert Gegensanktionen. Ebenfalls ein Zehntel trägt der Energiekonzern Uniper. Erfolgreicher als in Deutschland, wo beispielsweise das moderne Gaskraftwerk Irsching nur noch als Netzreserve gebraucht wird, betreibt
Uniper auch
mehrere Gaskraftwerke in Russland selbst - ebenso wie der Uniper-Großaktionär
Fortum aus
Finnland, der deshalb auf russischen Druck vorerst nicht beim Düsseldorfer Konzern durchgreifen darf.
Die ehemalige Uniper-Mutterfirma
Eon hat zwar ihre bis in die 70er Jahre zurückreichende strategische Russland- und Erdgasorientierung längst aufgegeben. An der Nord Stream AG verdient sie aber trotzdem weiter mit. Die
PEG Infrastruktur, der 15,5 Prozent der ersten Ostseepipeline gehören, wurde 2016 von Uniper an
Eon übertragen. Der
Transaktionswert wurde damals auf
eine Milliarde Euro beziffert.
Das Projekt ist aber nicht bloß deutsch-russisch. Der französische Konzern
Engie unter Führung von Isabelle Kocher (53), einer der größten Betreiber von Gasinfrastruktur und Gaskraftwerken in Europa, trägt ebenfalls ein Zehntel zu Nord Stream 2 bei und hält 9 Prozent an der alten Nord Stream AG. Wegen des starken Interesses von Engie sorgte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für Überraschung, als er die deutsch-französische Blockade gegen die EU-Gasdirektive vorübergehend.
Unbeirrt hinter Nord Stream stehen hingegen die
Niederlande. Im gleichen Maß wie Engie ist der Konzern
Gasunie an der alten Leitung beteiligt. Die Staatsfirma baut auch in Deutschland weiter die Verteilnetze aus. In der Heimat steht Gasunie wegen Erdbeben im Gasfördergebiet Groningen in der Kritik. Die Niederlande fahren ihre Produktion - die wichtigste heimische Erdgasquelle der EU - zurück. Auch deshalb werden russische Lieferungen wichtiger.
Der
niederländisch-britische Multi
Shell ist erst bei Nord Stream 2 eingestiegen, mit 10 Prozent wie die anderen westlichen Partner. Shell ist traditionell eher fürs Ölgeschäft bekannt, seit der Übernahme von
British Gas 2016 aber auch der weltgrößte Produzent von verflüssigtem Erdgas. Dieses LNG wird von den Nord-Stream-Kritikern aus EU und USA als Alternative zu russischem Gas beworben. Der Transport per Pipeline ist jedoch erheblich
billiger, sicherer und
verlässlicher - und dieses Geschäft will sich auch Shell-Chef Ben van Beurden (60) nicht entgehen lassen.
Für all diese Konzerne könnte Nord Stream 2 zum Risiko werden, wenn die USA Sanktionen verhängen. Gestoppt wird das Projekt aber wohl kaum. Die Verlegearbeiten in der Ostsee sind bereits weit fortgeschritten. Mehr als 2100 Kilometer Röhren liegen bereits am Meeresgrund (nur 147 Kilometer fehlen), im wahren Wortsinn versenkte Kosten. Noch in diesem Jahr wollen die Projektpartner den Betrieb eröffnen.
Neben den langfristigen Interessen geht es auch um kurzfristige Aufträge für die deutsche Wirtschaft.
41 Prozent der
200.000 Rohre sollen von der
Mülheimer Gesellschaft Europipe kommen, einem Gemeinschaftsbetrieb der
Stahlkonzerne Salzgitter und
Dillinger Hütte
Am
meisten auf dem Spiel steht allerdings für den
russischen Staatskonzern Gazprom und seinen Chef Alexej Miller (57). Die Russen suchen zwar seit Jahren nach
anderen Absatzmärkten vor allem in
Ostasien, wo
Erdgas auch zu
deutlich höheren Preisen verkauft wird. Für große Gasmengen aus Westsibirien ist das jedoch zu weit entfernt. Russland ist vom Gasverkauf nach Westeuropa mindestens so abhängig wie Europa von Gaslieferungen aus Russland. Der direkte Weg zum Hauptabsatzmarkt Deutschland durch die Ostsee spart Transitgebühren - was die Pipeline zugleich zum wirtschaftlichen Vorteil und zum geopolitischen Instrument macht
Die EU sieht das
9,5-Milliarden-Euro-Projekt kritisch und hätte es fast mit einer neuen Gasrichtlinie
torpediert - doch im Februar schlossen Deutschland und Frankreich noch einen Kompromiss, weil sie ihre Energieversorgung
nicht vom Placet der USA abhängig machen wollen. Nur noch ein kleines Teilstück in dänischen Gewässern fehlt, der Bau wird allerdings von
wilden Drohungen aus den USA
torpediert.
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