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brain freeze
Daß Erdo ein großartiger Schauspieler ist, ist sicher, die geostrategische Bedeutung Kleinasiens auch klar (die den Türken wiederum durchaus bewußt ist). Imo ist Erdo keine Ausnahme, sondern das gesamte sog. "islamische Erwachen", gegen das unsere "Patrioten" ankämpfen, in den 70ern westlich induziert worden (von UKUSA, wie du es nennst) und Erdo ein später Ausläufer.
Aber da ist noch etwas anderes: das Kurdenproblem; also nicht nur die eigenen Kurden als Schreckgespenst, sondern die Gefahr eines wie auch immer gearteten "nation buildings". Das zwingt die Türkei phasenweise zur Realpolitik, sollte man meinen. Und die steht dann im wirklichen Widerspruch zur westlichen Kurdenpolitik (Rammbock gegen Iran, Irak und Syrien).
Selbst wenn der Westen mit den Kurden nur spielt, das mag schon sein, aber die türkische Angst vor kurdischer Selbständigkeit scheint mir echt, das ist die türkische "Achillesferse" (wenn der griechische Heldenvergleich hier erlaubt ist). Man hat imo den Türken unter Erdogan sehr viel Leine gelassen, wohl auch als Ersatz für die Absage, sie doch irgendwann in die EU aufzunehmen. Die halb verbitterte Hinwendung der Türken nach Osten (Rußland, One Belt) und der Wunsch, den Westen "demütigen" zu wollen, liegt also in der Natur der Sache.
Das Schwanken zwischen West und Ost, zwischen Größenwahn und Schwäche scheint mir das Wesentliche zu sein, teils türkische Mentalität, teils Phantomschmerz osmanischer Glanzzeit, die Liebe zu US-Waffenkram, Reste der Atatürk-Kulturrevolution, teils ein Mangel an echter völkischer Identität (echte Türken als Minderheit im eigenen Land). Diese Widersprüchlichkeit und Schwanken verkörpert imo Erdo ganz gut. Oder meinst du, es ist alles nur Gekläffe eines braven NATO-Hofhundes, der Kleinasien treu bewacht und mit der hingeworfenen Wurst zufrieden ist?