Zitat von
solg
Ein Ablöseprozess sieht nicht so aus, dass man z.B., wie erst gestern und zum wiederholten Male geschehen, die Absage einer LGBT-Veranstaltung in Istanbul lediglich mit "Sicherheitsbedenken" begründet.
Ein Ablöseprozess vom Westen sieht auch nicht so aus, dass man den Gastgeber des vorgeblichen Drahtziehers des letzjährigen Showputsches praktisch unbehelligt lässt, dafür aber harmlosen EU-Staaten wie Deutschland oder Niederlande gegenüber rotzig ist, mit denen man es ja machen kann.
Die Türkei spielt ihr doppeltes Spiel nicht auf eigene Rechnung und nur weil Russland und Iran mitspielen, heisst das ja noch längst nicht, dass sie es nicht erkennen, dass sie es hier im Endeffekt mehr mit der NATO zu tun haben, denn mit der Türkei. Warum sie mitspielen? Vielleicht aus dem selben Grunde warum es Militärattaches und Verbindungsoffiziere gibt und die Türkei hier eben die Rolle des NATO-Verbindungsoffiziers in Richtung Osten (insbesondere in Richtung Russland und Iran) spielt um Dinge friedlich zu lösen, die ansonsten in Eskalationen münden würden.
Ein türkischer Kommunalpolitiker kommt ja auch nicht einfach so an die Spitze eines derart relevanten NATO-Mitglieds, um aus ureigenem Antrieb heraus dessen Staatswesen mit der Abschaffung des Laizismus auf links zu drehen und mal eben im Windschatten des hauptsächlich vom Westen gesponsorten Aufschwungs das für die NATO seit Jahrzehnten wachende Türkische Militär zurechtzustutzen, ohne dass da aus Brüssel und vor allem Washington ein enormer Vertrauensvorschuss vorliegt.
Woraus sich dieser Vertrauensvorschuss begründet kann ich mir nur damit erklären, dass Erdogan ebenso gut weiß was und für wen er es tut, wie eben genau diejenigen die ihn gewähren lassen.
Andernfalls müsste ich ja davon ausgehen, dass der Westen hier nur als interessierter und staunender Zaungast zusieht wie ihm ausgerechnet das geostrategische Filetstück Türkei unkontrolliert in Richtung Osten entgleitet, was wiederum so ziemlich allem widersprechen würde, was ich bisher von Angelsächsischer Politik der letzten Jahrhunderte gesehen und gelesen habe und somit gewohnt bin.
Und schließlich: So lange es für die Türkei eine direkte und gut ausgebaute und -geschmückte Brücke zum Silberrücken des Westens - nämlich den Vereinigten Staaten Amerikas - gibt, gibt es auch immer einen Weg in die Vereinigten Staaten Europas. Das Tischtuch zwischen der EU und der Türkei ist alles andere als zerschnitten, sondern liegt nur unordentlich und um es wieder in Ordnung zu bringen, müsste nicht mal ein neuer Türkenpräsi her. Allerdings gibt es z.Zt. und ganz offenbar ganz andere Prioritäten als eine weiter forcierte politische und kulturelle Annäherung/Angleichung zwischen der EU und der Türkei. An der wurde ja selbst noch unter Erdogan intensivst gearbeitet und was in den letzten Jahren gebremst wurde, muss noch lange nicht gleich in einem Stopp und einer darauffolgenden 180°-Umkehr in die andere Richtung resultieren.