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			Wer genau hinsieht, erkennt die Linie
Seit mehr als einem halben Jahr tobt der Krieg in der Ukraine.  Nukleare Schreckmomente, hochfliegende Rüstungspläne, Sanktionen und  Energieengpässe haben die Regierungen der westlichen Staaten zwischen  Gipfeltreffen und Krisensitzungen hin- und hergetrieben, dass einem als  Zuschauer dabei fast schwindelig werden kann. Aber wenn man dem Treiben  lange genug zuschaut, zeigen sich auch dort die Grenzen, über die sich  niemand wagt.
Kein einziges Nato-Land  liefert Kampfpanzer westlicher Bauart an die Ukraine. Nicht die  Amerikaner, die ein Milliardenpaket nach dem nächsten genehmigen und  bereits ungezählte Tonnen Militärmaterial ins Kriegsgebiet geschickt  haben. Nicht die Franzosen und nein, auch nicht die osteuropäischen  Hardliner in Polen und im Baltikum. Selbst der Hallodri Boris Johnson,  der durch die rückhaltlose Unterstützung der Ukraine Punkte sammeln und  sich vor der Absetzung retten wollte, konnte sich zwar den Platz als  Selenskyjs bester Buddy erobern, aber wenn es auf das unangenehme Thema  mit den Panzern kam, schlich er leise pfeifend zur Tür. Egal, wohin man  schaut: 
Westliche Kampfpanzer für die Ukraine sind ein Tabu. Man spricht nicht gern darüber, oder eher: eigentlich gar nicht. Aber die unsichtbare Linie ist da.
Diese seltsame Konstante kann eigentlich nur auf eines zurückgehen: auf eine direkte Kommunikation mit Moskau. "Absprache" wäre sicher das falsche Wort, Elemente der Drohung dürften in einem solchen Austausch wohl zugegen gewesen sein.
 Auch  Amerikaner und Franzosen haben schweres Gerät und Hi-Tech-Artillerie  geliefert. Ob schwer oder nicht, das ist bei den Waffen jedoch nicht die  entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist: Sind sie zum Angriff geeignet?
Die Nato verweigert der Ukraine offensive Waffensysteme.  Der Flugabwehrpanzer Gepard, über den die Regierung jetzt so viel  redet, trägt seinen defensiven Zweck bereits im Namen. Die Zuordnung,  was ein offensives Waffensystem ist und was nicht, lässt sich anhand  einer einfachen Frage entscheiden: Kann man mit dem gelieferten Gerät große Gebiete wie die Krim zurückerobern?  Deutsche Raketenwerfer und Haubitzen können die russischen Bastionen  zwar sturmreif schießen – aber zum Stürmen braucht man dann etwas  anderes: Marder-Schützenpanzer etwa und den Kampfpanzer Leopard. Damit ist die rote Linie erreicht. Solche Panzer aus Nato-Waffenschmieden gibt es für die Ukraine nicht.
Bevor  Sie nun womöglich die Wut packt, dass die Nato-Staaten augenscheinlich  vor Putins Drohkulisse kuschen, werfen wir einen Blick auf eine andere  Grenze, die in diesem Krieg nicht angetastet worden ist: Kein  einziges russisches Geschoss, keine Rakete und keine Bombe hat sich auf  Nato-Territorium verirrt, selbst dann nicht, wenn sich dort in  unmittelbarer Nachbarschaft zur Ukraine – wie beispielsweise in Rumänien  – der Nachschub für Kiews Truppen türmt. Mit ebensolcher  Verlässlichkeit haben es Putins Luft- und Raketenstreitkräfte peinlich  vermieden, auf Kiew oder Lwiw zu feuern, sobald ein hochrangiger  Vertreter eines Nato-Staates die Städte besuchte.
Die Zeiten sind gefährlich.  Deshalb muss man dankbar dafür sein, dass auf beiden Seiten des neuen  Eisernen Vorhangs ein stillschweigendes – oder sogar ausdrückliches –  Einverständnis darüber herrscht, die direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland unbedingt zu verhindern.  Konfliktparteien, die bis unter die Haarspitzen nuklear bewaffnet sind,  dürfen nicht aufeinander losgehen. Niemals. Es ist der denkbar kleinste  gemeinsame Nenner, aber immerhin gibt es ihn.
			
		
	
 
alles auf: