„Wüstenwanderer“ gegen „Wolkenpolitiker“ – Die Pressefehde zwischen Eduard Glaser und Theodor Herzl
Auszug:
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Eduard Glasers Idee einer „Judenkolonie“ in Südarabien
Es sind nur wenige Quellen überliefert, die einen detaillierten Einblick über Glasers Vorstellung einer
südarabischen Judenkolonie gewähren. Im Wesentlichen sind es einige Zeitungsartikel, deren Inhalte jedochumso stärker Glasers tatkräftige Absicht widerspiegeln. Bezeichnenderweise stand Glaser mit seiner Idee Zeit seines Lebens alleine da. Niemanden konnte er für sein gewagtes Vorhaben begeistern, geschweige Anhänger um sich scharen. Das mag auch dazu geführt haben, dass selbst seine engsten Freunde davon sprachen, dass es zwar „ein ehrlich gemeinter, aber kaum reif durchdachter Plan“ (Lichtenstädter 1909:165) gewesen wäre. Dennoch war Glaser inbrünstig davon überzeugt, dass für eine gesicherte Zukunft aller Juden nur der Jemen in Frage kommen würde. Wie kam es dazu? Bereits als 26-Jähriger setzte sich Glaser mit der Zukunft des Judentums auseinander.
In der Berliner „Allgemeinen Jüdischen Zeitung“ vermerkte Glaser 1898 rückblickend: „Schon seit dem Jahre 1881 [...] beschäftige ich mich, neben meinen wissenschaftlichen Unternehmungen und Arbeiten, mit der Frage nach der Zukunft des jüdischen Volkes“ (Glaser 1898b:54). Das lässt aufhorchen, zumal Glaser einer kaum religiösen und auch wenig begüterten jüdischen Familie entstammte. Mit ironischem Unterton bemerkte er einmal, dass er „eine Rabbinatsschule nicht einmal von weitem gesehen habe“ (Glaser 1898a:22).
Eduard Glaser wuchs im böhmischen Deutsch-Rust, in Komotau und in Prag auf. Bereits mit sechzehn Jahren begann er eigenständig arabisch zu lernen. Als er in einem Prager Kaffeehaus die Zeitschrift „Das Ausland“ las, weckten die darin abgedruckten Reiseberichte in ihm das Interesse selbst Forschungsreisender zu werden.5 Glasers Angaben für ein koloniales Siedlungsgebiet sind 1881 noch unbestimmt, noch ist keine Rede von
Südarabien. Zu diesem Zeitpunkt hatte Glaser jedoch bereits direkten Kontakt mit der arabischen Welt.
In Wien-Währung hatte Glaser eigens seine Assistenzstelle an der k.u.k. Sternwarte aufgegeben, um ab Oktober 1880 als Hauslehrer bei dem österreichischen Generalkonsul in Tunis, bei Dr. v. Theodorovich zu arbeiten. Bald beherrschte er die arabische Sprache so weit, dass er als Dolmetscher eingesetzt werden konnte. Der junge Forscher war zunächst weit mehr in die arabische Welt eingetaucht als in die jüdische. Die erste Jemenreise trat Glaser im Oktober 1882 an.
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Der
Grund dafür, dass sich Glaser dennoch für eine
jüdische Auswanderung nach dem
Jemen erwärmen konnte, war die
augenscheinliche Tatsache:
Es gab bereits
jüdische Gemeinden im Jemen. Jedem Jemenreisenden begegneten an den Hafenstädten jüdische Händler und Handwerker, oftmals unter schwierigen politischen und sozialen Bedingungen.7 In Glasers Tagebüchern lassen sich zum Thema
„Juden im Jemen“ immerhin über ein Dutzend Eintragungen finden (Dostal 1993:47–52). Offensichtlich wurde Glasers Interesse für das Judentum erst im arabisch kulturellen Umfeld geweckt. Wie weit die erste jüdische Einwanderung nach dem Jemen jedoch zurückreichte, war zur Zeit Glasers noch unbekannt.
Bekannt waren lediglich Legenden. Die bekannteste war und ist wohl diejenige vom Treffen König Salomons mit der Königin Bilkis von Saba, demzufolge ihr nachgesandte Juden im Jemen verblieben. Für Glaser war diese Legende mehr als das, stellte sie für ihn doch eine jüdisch kulturelle Verbindung zwischen Palästina und Südarabien her.8
Immer und immer wieder versuchte Glaser den historischen Kern dieser Legenden herauszuschälen (Glaser 1891:23–30), bis es für ihn eine festgeschriebene Tatsache wurde: Das sagenhafte biblische Goldland „Ophir“ existierte als südarabische Kolonie mit jüdischen Siedlern (Glaser 1890c:308).9
Bereits
1883 bemerkte Glaser über das
„Alter der jüdischen Kolonien Südarabiens“:
„Für mich steht es fest, daß die Juden hier bereits zur Zeit Salomos ansässig waren, zunächst in kleinen Kolonien, die infolge der Macht des jüdischen Reiches außerordentlich respektiert wurden. Sie befanden sich bestimmt in der ganzen Ausdehnung des himyarischen Reiches, also überall dort, wo wir sie heute noch finden, das heißt in den Bergen Jemens von Ṣa῾dah bis Nadjrān (Badr besitzt keine Juden), von Ṣa῾dah bis Tai῾zz, von Tai῾zz bis zur Ostgrenze des Djawf und Nadjrāns. Einige wenige finden sich in Ḥaḍramawt östlich und nordöstlich von ῾Aden“ (Dostal 1993:47).10
Schließlich
weist er
nach, dass im später von den Römern bezeichneten
„Arabia felix“ sogar
jüdische Königreiche existierten (Glaser 1890a:1–2, 1890b:2–3). Fast euphorisch bringt er seine neu erworbenen Kenntnis auf den Punkt und leitet nun darausseine jüdische Kolonialidee für den
Jemen ab:
„Dort [im Jemen] leben seit undenklichen Zeiten ohnehin schon zahlreiche Juden – wenigstens 100.000, wenn man die nahegelegenen, übrigens dazugehörigen Meschrikdistrikte mit in Betracht zieht – und dort bestand, ebenso wie in Nordarabien, schon einmal Jahrhunderte hindurch ein theils ganz jüdisches, theils stark judaisiertes Reich, Beweis genug, daß für Juden Boden und Klima geeignet sind. Im Yemen wäre Platz genug, eventuell sogar für Millionen Einwanderer, und zwar ohne daß man nöthig hätte, auch nur einen einzigen der jetzigen Einwohner des Landes von seiner Scholle zu vertreiben“ (Glaser 1898b:55).
Tatsächlich bezeugen heute
Belege aus der Spätantike ein jüdisches Königreich im Himyar (ab 110 v. Chr.) und damit eine etwa
zweitausend Jahre währende
jüdische Siedlungskontinuität im
Jemen. Auch die Zionisten beriefen sich in ihrer Auswahl Palästinas auf die dortige jüdische Siedlungskontinuität.11
Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren sowohl der
Jemen als auch
Palästina Teile des
Osmanischen Reiches, das durch die europäischen Mächte in Folge des Ersten Weltkrieges aufgeteilt wurde.
Durch Glasers politische Einschätzung des Osmanischen Reiches entwickelte er einen jüdischen „Siedlungsvorschlag“ für den
Jemen, der aus seiner Sicht
leicht umzusetzen gewesen wäre:
„Wenn es aber Wirtschaftlichkeit werden soll, dann muß die Türkei sich entschließen, den Juden ein Land zu überlassen, dessen geographische Lage die Garantie gegen allerlei gegenwärtige und künftige internationale Schwierigkeiten in sich schließt und das genügend Raum bietet für die neuen Einwanderer; andererseits dürfen die Juden ebenso kein territoriales Verlangen stellen, das die Türkei internationalen Verwicklungen aussetzt, wie es beispielshalber gerade bei Palästina unzweifelhaft der Fall wäre, sondern müssen sich mit einer Provinz begnügen, durch deren Abtrennung dem türkischen Staatskörper die Lebensfähigkeit nicht entzogen wird, und das ist im ganzen weiten türkischen Reiche keine an*dere Provinz als der Yemen!“ (Glaser 1898b:55)
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https://austriaca.at/0xc1aa5576_0x00178c9e.pdf