GEO EPOCHE / von Christoph Kucklick
Leseprobe: Die Akte Mossad
Sie jagen NS-Verbrecher, töten palästinensische Terroristen, besorgen Waffen - und retten Juden: Die Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes sind eine geheimnisvolle Elite, denen das Land seine Sicherheit verdankt. Doch bei der Erfüllung ihrer Mission machen sich die Spione schuldig.
Prolog: Schüsse auf den eigenen Mann
Kaum ist Isser Beeri, ein großer Mann mit tief liegenden Augen, im Februar 1948 zum Chef des
Schai ernannt worden, des Vorgängers der israelischen Geheimdienste, geschieht Verstörendes. Wanderer entdecken eine halb verbrannte Leiche voller Gewehrkugeln. Der Freund eines hohen Politikers verschwindet in einem israelischen Folterkeller, dem er erst 72 Tage später, bedeckt mit Wunden und ohne Zähne entkommt - ein gebrochener Mann für den Rest seines Lebens. Am 30. Juni wird ein Hauptmann der israelischen Armee verhaftet und vor ein Schnellgericht gestellt, das ihn ohne Verteidigung in wenigen Minuten verurteilt und erschießen lässt.
Eine Untersuchung ergibt:
Alle drei Verbrechen hat Isser Beeri befohlen, der asketische, verschlossene Chef-Spion, bekannt für seine patriotische Hingabe. Premierminister
David Ben Gurion zürnt voll Abscheu:
Einen solchen Geheimdienst, der über allem Recht steht, will er nicht dulden. Beeri wird seines Amtes enthoben, aus der Armee entlassen und für einen Tag ins Gefängnis gesperrt.
Ben Gurions Entscheidung bestimmt fortan das Selbstverständnis der israelischen Geheimdienste: Keine Unterdrückungsapparate sollen sie sein und sich nie gegen das eigene Volk wenden. Dafür haben sie zu viele Kriege zu führen - wie sich bald herausstellen soll:
fünf Kriege.
Gegen die
arabischen Nachbarn, gegen die
Palästinenser, gegen
flüchtige Nationalsozialisten, für die
Rettung von Juden überall auf der Welt und für
die Beschaffung von
überlebenswichtigem Know-how.
Aber die Fragen, die Isser Beeri aufwirft, quälen
Israels Geheimagenten seither:
Wie böse muss der Gute sein, um das Gute zu schützen? Wie viele Gesetze dürfen sie brechen, um die Demokratie zu verteidigen? Wie viele Schmerzen zufügen, um größere zu verhindern? Ein späterer Chef des Mossad (der für Auslandseinsätze zuständigen Organisation unter den drei israelischen Nachrichtendiensten) wird erklären:
"Die schmutzigsten Aktionen müssen die ehrenhaftesten Männer ausführen." Ohne sich dabei zu beschmutzen?
Der
Mossad ist heute eine
Behörde mit rund
3000 Angestellten - weniger als die Stadtverwaltung von Wuppertal. Das
* Hauptquartier des
"Instituts für Aufklärung und besondere Aufgaben", so der offizielle Name, liegt im
Norden von
Tel Aviv, gegenüber einem
Country Club, in Sichtweite gleißt das Mittelmeer. Besichtigungen sind
nicht möglich.
Hier wird Israels wohl erfolgreichstes, in jedem Fall bekanntestes Produkt hergestellt, ein Amalgam aus Angst und Bewunderung, aus höchster Raffinesse und äußerster Brutalität – so jedenfalls dürften es Außenstehende wahrnehmen. Sie nennen es den
"Mythos Mossad". Die Angestellten, die mehrheitlich geregelte Bürozeiten haben, würden ihr Produkt mit einem anderen Wort beschreiben: Sicherheit. Schutz für ein bedrohtes Land. Und vielleicht ist der Mossad auch deshalb Israels imposanteste Marke: weil er so viel größer scheint, als er tatsächlich ist. Und damit ein bisschen so wirkt wie Israel selbst. Weil seine Feinde ihn überall vermuten.
Dabei zählt er nicht einmal ein Hundertstel der Mannstärke der CIA, und zu sowjetischen Zeiten war er 200-mal kleiner als der KGB.
Ein
Zwerg unter
Riesen. Schweigen nährt die Größe. Der Mossad hat keine seiner Aktionen je kommentiert, weder bestätigt noch dementiert, außerdem unterbindet die
israelische Zensur viele Enthüllungen. Das verstärkt die Wucht des kleinen Apparats: Niemand soll ihn ausrechnen. Einige Operationen aber sind bekannt geworden, weil Beteiligte später geredet, Journalisten recherchiert oder Untersuchungskommissionen geprüft haben. Nur aus diesen Aktionen lässt sich das Wesen des Mossad entschlüsseln. Aber sie sind auch eine Falle:
Noch die Misserfolge bekräftigen den Mythos, da sie nahelegen, dass der Mossad sich an Hasardstücken versucht, die andere nicht einmal erwägen würden.
Der Krieg gegen die arabischen Nachbarn
Elie Cohen ist das genaue Gegenbild zu Isser Beeri. Der beste Spion des Mossad, der Stolz Israels. Aber die Nation erfährt von ihm erst, als er, ein beständiges Zucken im Gesicht von den Elektroschocks seiner Folterer, in Damaskus vor Gericht steht. Bis dahin kennen kaum eine Handvoll Menschen seinen wahren Auftrag. Der Sohn ägyptischer Juden ist gerade aus Kairo nach Israel eingewandert, als er 1960 im hohen Alter von 36 Jahren angeworben wird. Seine Ausbildung ist gründlich und umfasst vieles, was auch heute noch gelehrt wird: sichere Häuser einrichten, unsichtbare Tinte benutzen, Botschaften verschlüsseln. In jedem Spionageroman finden sich die Details, aber sie zu beherrschen, das erfordert jahrelanges Training. Denn vor allem müssen die Rekruten lernen, die menschliche Seele neu zu sehen: als verletzliche, als täuschbare. Um
Agenten anzuwerben, so erfahren sie, funktionieren nur drei Köder:
Geld, Sex oder
starke Gefühle - wie Enttäuschung über eine ausgebliebene Beförderung. Aus Sicht von Spionen ist der Mensch ein
simples Wesen.
Aber Mossad-Agenten werden härter gefordert als die anderer Dienste. Sie werden noch während der Ausbildung zum Schein entführt und brutalen Verhören unterzogen, sie müssen sich ständigen psychologischen Tests stellen und alle drei Monate dem Lügendetektor.
...
Gegründet wird der
Mossad am 2. März 1951 als Teil einer
geheimen Dreieinigkeit, die sich später nicht immer einig sein wird:
Schin Bet, der
Inlandsgeheimdienst;
Aman, der
militärische Abschirmdienst; und eben
ha- Mossad le-Modiin u-le-Tafkidim Mejuchadim, das
"Institut für Aufklärung und besondere Aufgaben".
Der
Mythos vom raffiniertesten Spionagedienst der Welt entsteht in der Ära von Elie Cohen. Der Mossad schleust damals auch Spione in die ägyptische Führung ein, etwa den Deutschen Wolfgang Lotz, die ihn mit ähnlich gutem Material wie Cohen versorgen. Geheimdienste nennen die Aufklärung durch Menschen humint (human intelligence), und sie ist eine Säule neben sigint, Abhörmaßnahmen, und osint, dem Auswerten offener Quellen wie Zeitungen und Fernsehen; auf Humint aber hat sich der israelische Geheimdienst früh konzentriert und ist darin bis heute allen anderen überlegen. Humint führt dazu, dass die Israelis als Erste jene Rede Nikita Chruschtschows in den Händen halten, in der der neue Sowjetchef 1956 hinter verschlossenen Türen mit Stalins Gräueltaten abrechnet. Der Mossad reicht das Dokument mit generöser Lässigkeit an die CIA weiter, was Israel ebenso viel Sympathie wie Bewunderung einbringt.
1966 überreden Geheimdienstler einen irakischen Piloten, mit seiner MiG- 21 nach Israel zu fliehen. So können westliche Militärs erstmals die Kampfkraft des legendären sowjetischen Fliegers testen, ein ungeheurer Coup. Kann dem Mossad etwas misslingen? Und worin besteht seine Stärke? Ist den Israelis eine besondere Geheimdienst- Kultur gelungen?
Dem
MI6 sagt man nach, der letzte Überlebende des Britischen Empire zu sein: ein Snob mit Esprit und Abenteurergeist. Der
KGB galt als seelenlose Maschine, aber mit
bestens geschulten Agenten. Die
CIA ist ein
gewaltiger Konzern, berauscht von der eigenen Bedeutung und der neuesten Technologie.
Und der Mossad? In ihm steckt ein wenig von
allen drei Diensten, aber mehr als die anderen kann er sich auf ein
ungewöhnlich kosmopolitisches Reservoir an
Talenten stützen:
Er rekrutiert mehrheitlich Juden in der ganzen Welt, die viele Sprachen und etliche Schattierungen der Hautfarbe bieten und damit an vielen Orten unauffällig operieren. Vor allem aber treibt eine Energie sie an, die anderen Diensten fehlt: der Wille zum Überleben. Oder die Angst vor dem Untergang. Denn der Mossad operiert im Schatten der möglichen Vernichtung Israels.
Für den Geheimdienst beginnt das Feindesland gleich hinter der israelischen Grenze. Beirut, Kairo, Damaskus: Diese gefährliche Nachbarschaft schult, und so wird der Mossad aus purer Not zum Meister der Täuschung. "Der Mossad bewegt sich da, wo sogar Engel Angst bekommen", hat ein ehemaliger Agent geschrieben - dort, wohin kaum ein anderer sich wagt.
Den
vollständigen Text können Sie in der neuen Ausgabe von
GEO EPOCHE "Israel" nachlesen.
https://www.geo.de/magazine/geo-epoc...s%20Mittelmeer.