Palliativmediziner zu COVID-19-Behandlungen
„Sehr falsche Prioritäten gesetzt und alle ethischen Prinzipien verletzt“
Der Palliativmediziner Matthias Thöns hat eine „sehr einseitige Ausrichtung auf die Intensivbehandlung“ von Patienten in der Coronakrise kritisiert. Er plädiert für eine bessere Aufklärung. Eine Intensivtherapie sei leidvoll und das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden stimme kaum.
Matthias Thöns im Gespräch mit Peter Sawicki
https://www.deutschlandfunk.de/media...jpg?key=b99686Der Palliativmediziner Matthias Thöns plädiert für eine bessere Aufklärung, was eine intensivmedizinische Behandlung für Folgen haben kann (dpa / Bernd Thissen)
Es gibt Fachleute, die diese Ausrichtung auf die Intensivbehandlung von Corona-Patienten kritisch sehen, und die vor ethischen Problemen warnen. Einer von ihnen ist Matthias Thöns, er ist Facharzt für Notfall- und Palliativmedizin in Witten in Nordrhein-Westfalen. Er hält die Ausrichtung der Politik auf die Intensivbehandlung von COVID-19-Erkrankten für einseitig.
Peter Sawicki:
Herr Thöns, Sie sagen, dass eine ethische Katastrophe in Sicht ist. Was genau meinen Sie damit?
Matthias Thöns:
Na ja, die Politik hat jetzt eine sehr einseitige Ausrichtung auf die Intensivbehandlung, auf das Kaufen neuer Beatmungsgeräte, auf Ausloben von Intensivbetten. Und wir müssen ja bedenken, dass es sich bei den schwer erkrankten COVID-19-Betroffenen, so nennt man ja die Erkrankung, meistens um hochaltrige, vielfach erkrankte Menschen handelt, 40 Prozent von denen kommen schwerstpflegebedürftig aus Pflegeheimen, und in Italien sind von 2.003 Todesfällen nur drei Patienten ohne schwere Vorerkrankungen gewesen. Also es ist eine Gruppe, die üblicherweise und bislang immer mehr Palliativmedizin bekommen hat als Intensivmedizin, und jetzt wird so eine neue Erkrankung diagnostiziert und da macht man aus diesen ganzen Patienten Intensivpatienten.
„Es werden alle ethischen Prinzipien verletzt, die wir so kennen“
Sawicki:
Werden da also falsche Prioritäten gesetzt?
Thöns:
Ich sehe, das sind sehr falsche Prioritäten und es werden ja auch alle ethischen Prinzipien verletzt, die wir so kennen. Also wir sollen als Ärzte ja mehr nutzen als schaden. Da fragt man sich natürlich bei einer Erkrankung, wenn die schlimm verläuft, also zum Atemversagen führt, dann können wir tatsächlich nach einer chinesischen Studie nur drei Prozent der Betroffenen retten, 97 Prozent versterben trotz Maximaltherapie – so eine Intensivtherapie ist leidvoll, da stimmt ja schon das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden kaum.
###
Thöns: Geld spielt bei der Intensivmedizin eine Rolle
Also von daher gibt es schon deutliche Hinweise, dass da Geld eine Rolle spielt, und wir wissen ja alle, dass Beatmungsmedizin extrem gut vergütet wird,
da wird ein Tag zum Beispiel über 24 Stunden Beatmung teilweise mit über 20.000 Euro vergütet.