NZZ / 15.11.2019 / von Christoph G. Schmutz
Israel kritisiert ein Urteil des EU-Gerichtshofs zu Ursprungsbezeichnungen für Produkte aus besetzten Gebieten
Lebensmittel aus von Israel besetzten Gebieten müssen beim Verkauf in der EU als solche beschriftet werden. Das höchste Gericht der EU bestätigt die entsprechenden Vorschriften. Das löst Kritik aus und belebt einen alten Streit.
«Inakzeptabel» sei das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), teilt Israels Aussenminister
Israel Katz mit. Er wolle die von den Richtern unterstützte Praxis mit den EU-Aussenministern besprechen und ihre Anwendung verhindern. Der Befund gefährde den Friedensprozess. Diese heftige Reaktion wurde von einem EuGH-Urteil ausgelöst, wonach
Lebensmittel aus den von Israel
besetzten Gebieten beim
Import in die
EU eine entsprechende
Herkunftsangabe aufweisen müssen.
Eine Klage in Frankreich als Auslöser
Im November 2016 hatte das französische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen einen Erlass herausgegeben, wonach Produkte aus den von Israel besetzten Gebieten Ursprungsangaben wie «Erzeugnis von den Golanhöhen (israelische Siedlung)» oder «Erzeugnis aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)» aufweisen sollten.
Im Januar 2017 erhoben die Organisation juive européenne und das in einer Siedlung im Westjordanland beheimatete Weinunternehmen Vignoble Psagot dagegen
Klage vor dem Staatsrat. Sie verlangten, das höchste Verwaltungsgericht Frankreichs solle den Erlass aufheben. Er verstosse nämlich gegen die EU-Verordnung betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel von 2011. In der Folge gelangte der Staatsrat an den
EuGH. Er wollte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens wissen, ob das EU-Recht entsprechende Angaben vorschreibe oder zumindest zulasse.
Die
EU-Kommission veröffentlichte im November
2015 eine Mitteilung dazu, in welcher die betreffende Verordnung hinsichtlich dieser Frage ausgelegt wurde. Sie bestimmte, dass eben
beispielsweise Erzeugnisse aus Siedlungen im
Westjordanland wie oben erwähnt
gekennzeichnet werden müssten. Andernfalls würden Konsumenten
getäuscht oder i
n die Irre geführt, was die Lebensmittel-Informationsverordnung aber
untersage.
Der EuGH
bestätigt in seinem Urteil diese Auslegung. Damit dürften die Kläger in Frankreich grundsätzlich unterliegen. Das französische Gericht hat den konkreten Rechtsfall zwar selber zu entscheiden, wird sich dabei aber an das Urteil des EuGH halten müssen.
Als Begründung heisst es in einer Mitteilung des Gerichts, dass Konsumenten «in Bezug auf die Tatsache irregeführt werden könnten, dass der Staat Israel in diesen Gebieten als Besatzungsmacht und nicht als souveräne Einheit präsent ist».
Fehlten die entsprechenden Angaben, könnte der Käufer nicht wissen, ob das Produkt aus einer Siedlung stammt, die unter Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht errichtet wurde. Die EU-Verordnung schreibe jedoch vor, dass die Informationen auf den Produkten den Konsumenten eine fundierte Wahl zu ermöglichen hätten. Dabei zu berücksichtigen sind viele Gebiete wie Gesundheit, Wirtschaftlichkeit, Umwelt, soziale Angelegenheiten, Ethik und Völkerrecht.
Nur wenige Waren betroffen
Das israelische Aussenministerium warf der EU daraufhin eine
Doppelmoral vor. Es gebe schliesslich über 200 laufende Auseinandersetzungen um Gebiete, und zu keinem anderen Konflikt habe sich der EuGH geäussert. Das Urteil sei politisch motiviert und diskriminierend. Auch das
US-Aussendepartement zeigte sich «zutiefst besorgt».
Die
verlangte Beschriftung ermutige, erleichtere und fördere
Boykotte, Desinvestitionen und
Sanktionen (BDS) gegen
Israel. Eine unter diesem Kürzel bekannte, umstrittene Gruppierung wird von Israel als
existenzielle Bedrohung aufgefasst.
Hochrangige EU-Beamte beeilten sich darauf am Donnerstag in Brüssel, darauf hinzuweisen, dass es sich
keineswegs um
Diskriminierung handle. Man orientiere sich am völkerrechtlichen Status, und dieser sei für die besetzten Gebiete anders als etwa für die
Westsahara oder die
Krim. Ferner gewähre die
EU Israel im Rahmen des Assoziierungsabkommens von 2000
vorteilhafte Zölle. Diese gelten
nicht für Produkte aus den
besetzten Gebieten, weil diese als
nicht aus Israel stammend betrachtet werden. Vergleichbare Diskussionen flammten beispielsweise 2012 auch in der Schweiz auf.
Bereits zur
Jahrtausendwende, nach Abschluss des erwähnten Abkommens, stritt sich die EU mit Israel über Ursprungsnachweise. 2004 wurde der Disput beigelegt. Israel sicherte zu, künftig den Zollbehörden neben
«Made in Israel» die
exakte Ortschaft offenzulegen, und für Güter aus den besetzten Gebieten auf die vorteilhafteren Zölle zu verzichten. Die
Kontrolle und
Umsetzung der
Vorschriften zur
Beschriftung von Produkten ist Sache der
Mitgliedstaaten.
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https://www.nzz.ch/wirtschaft/israel...ten-ld.1522024