Zitat von
Parabellum
Wer mag die Ukraine kritisieren? Es ist die nackte Not und dunkle Verzweiflung, die Kiew immer lauter um Kampfpanzer und -flugzeuge, U-Boote und Langstreckenraketen bitten lässt. In vergleichbarer Lage würde jeder gewählte Staatsmann Ähnliches fordern. Es wäre seine Pflicht dem eigenen Volk gegenüber. Nur: Muss der Westen den Wünschen folgen?
Es gibt gute Gründe, die Ukraine so zu bewaffnen, dass sie in der Lage ist, die absoluten Kriegsziele Moskaus zu vereiteln. Allein das wäre schon ein Sieg im Kampf zwischen der ukrainischen Mittelmacht und Russlands gewaltiger Militärmaschine.
Doch es kann nicht sein, dass in einem Konflikt dieses Ausmaßes westliche Gesinnungsethiker durch Empörung, Furor und Zorn jeglichen Verantwortungssinn für die eigene Sicherheit fahren lassen.
Es wäre falsch und fahrlässig, sich vor den russischen Drohgebärden so zu ängstigen, dass sie zur Leisetreterei im Westen führten. Genauso falsch und fahrlässig ist es aber, sich Russland, dieses „Obervolta mit Atomraketen“, wie es Helmut Schmidt im Kalten Krieg nannte, als einen Zwerg wie den Irak unter Saddam Hussein vorzustellen und dementsprechend locker die militärischen Gefahren kleinzureden.
Russland besitzt ein Zerstörungspotenzial, über das sonst nur noch die Vereinigten Staaten verfügen. Da es grundsätzlich nicht auszuschließen ist, in eine Spirale der Eskalation zu geraten, ist jeder Schritt in diesem Krieg sorgfältig zu bedenken, sind sämtliche Interessen aller Seiten abzuwägen. Neben den eigenen auch die der Ukraine.
Aus menschlich nachvollziehbaren Gründen hatte Kiew vom ersten Tag des Krieges an das Interesse, den Westen in den Konflikt derart hineinzuziehen, dass er zur aktiven Kriegspartei wird. Kiew weiß: Nur wenn die Nato-Mitglieder selbst in den Kampf eingriffen, hätte die Ukraine die Chance, den Gegner niederzuwerfen. Folglich nimmt sie ein Hineinrutschen westlicher Staaten in die Kampfhandlungen billigend in Kauf. Die meisten westlichen Verbündeten wollen diesen Schritt verhindern, um einen Weltkrieg zu vermeiden.
Mit welchen Reaktionen müsste der Westen rechnen?
Auch aus diesem Grund lehnen es einige von ihnen ab, Kampfjets – alte Tornados genauso wie moderne F-16- und F-35-Kampfflugzeuge – in die Ukraine zu liefern. Würden Kiew diese überlassen werden, müssten westliche Techniker die hochsensiblen Flugzeuge in der Ukraine warten und möglicherweise reparieren. Was geschähe, wenn die Wartungseinheiten bombardiert würden? Mit welchen Gegenaktionen müsste der Westen rechnen, sollten F-16-Bomber russische Infrastruktur zerstören? Töricht wäre derjenige, welcher die düsteren Möglichkeiten dieser Antworten in den Wind schreibt.
Was ist das Ziel dieses Krieges neben dem Wunsch, die ukrainische Unabhängigkeit zu wahren? Folgt man den Worten des amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin, soll der Krieg auch geführt werden, um den Russen möglichst viele militärische Fähigkeiten zu nehmen. Zu Recht. Was Austin allerdings zu erwähnen vergaß, ist: Auch die westliche Seite verliert an Abschreckungskraft.
Sieht man von den Amerikanern ab, wird die ohnehin schon schwache Kampfkraft der europäischen Verbündeten seit dem 24. Februar stetig gemindert. Von den 100 gut ausgestatteten Divisionen, welche die Nato am Ende des Kalten Krieges besaß, verfügt sie heute ohnehin nur noch über acht vorgeschobene Kampfgruppen.
Warum es die Kriegswirtschaft braucht
Man kann nur beten, dass sie mit modernsten Waffen ausgerüstet sind – oder es schnellstmöglich werden. Noch fehlt es an der Kriegswirtschaft, die es braucht, um für Ausrüstung und Nachschub zu sorgen.
Es gehört zur strategischen Umsicht, sich bereits heute mit der wohl unangenehmsten Frage dieses Krieges zu beschäftigen: Was geschieht, wenn die Ukraine verliert?
In diesem Fall ist die Nato im Allgemeinen, die Bundeswehr im Besonderen in einer Weise hochzurüsten, die der kältesten Phase des Kalten Krieges entspricht. Allenfalls die USA können es sich leisten, heute auf die Kampfjets zu verzichten, die sie morgen selbst brauchen. Je düsterer die Aussichten für Kiew in diesem Krieg sind, desto stärker ist darauf zu achten, die Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses zu stärken.
Die kümmerlichen 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Berlin derzeit für die Bundeswehr ausgibt, reichen dafür nicht aus. In der Hochzeit der Entspannungspolitik unter Kanzler Willy Brandt zahlte Deutschland 3,4 Prozent des BIP für die Verteidigung. Nicht einmal die würden in einer Kriegslage wie der heutigen genügen. Polen zahlt für seine Aufrüstung jetzt schon rund vier Prozent des BIP.