Referendum im Donezk: Republik ohne Volk
Während sich in Slowjansk prorussische Freischärler und ukrainische Sicherheitskräfte Gefechte liefern, bereiten die Strippenzieher der selbsternannten Volksrepublik das Referendum vor. Sie haben ein Problem: Im Volk fehlt ihnen die Mehrheit.
Vor der besetzten Gebietsverwaltung in Donezk hat die Separatistenrepublik Fahndungsplakate mit Fotos Kreml-kritischer Journalisten aufgehängt. "Achtung, Provokateure", steht darauf. Daneben agitiert ein Aushang gegen eine Annäherung an Europa, die "Kolonie westlicher Päderasten". Männer in Sturmhauben schieben gelangweilt Wache.
Doch nicht jeder Verfechter der selbsternannten "Volksrepublik Donezk" kämpft mit Kalaschnikow und Sturmhaube. "Ich muss mein Gesicht nicht verstecken", sagt Roman Ljagin. "Ich bin überzeugt, dass ich einer guten Sache diene."
Ljagin ist 33, ein smarter Politologe. Er kämpft schon lange für eine "Volksrepublik Donezk", doch nicht an Barrikaden, sondern am Schreibtisch. Er wirbt um Verständnis für die harsche Ablehnung der EU durch viele einfache Aktivisten: "Unsere Leute sind nie aus der Ukraine rausgekommen, deshalb sind sie gegenüber Europa so kritisch eingestellt."
Ljagin hat ein Büro in einem Nebengebäude der besetzten Gebietsadministration bezogen. Die Separatisten haben ihn zum Chef der "Zentralen Wahlkommission" ernannt, er soll das Referendum vorbereiten, das sie für den 11. Mai ausgerufen haben. In den nächsten zwei Wochen soll er Wahlkommissionen in jedem Dorf und jedem Stadtviertel bilden und muss Geld auftreiben für den Druck von mindestens zwei Millionen Stimmzetteln.
"Niemand vertritt den Donbass"
In Kiew sei der Staat Ukraine faktisch implodiert, sagt Ljagin, der Osten der Ukraine habe in der Hauptstadt keine Stimme mehr: "Niemand vertritt den Donbass." Das sei der eigentliche Grund für den plötzlichen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Donezk, Slowjansk und anderswo, nicht etwa massive Unterstützung aus Russland.
"Wir sind keine Soldaten, und wir wollen keinen Krieg", sagt Ljagin. Die Separatisten hätten die Gebäude von Polizei und Geheimdienst gar nicht stürmen müssen, die Sicherheitskräfte hätten "uns freiwillig die Türen aufgehalten, auch die zu den Waffenkammern". Niemand sei bereit, für Kiew den Kopf hinzuhalten, schon gar nicht die Sicherheitskräfte, denen die Regierung gerade einmal 150 Euro im Monat zahlt.
"Also, zum derzeitigen Zeitpunkt", sagt Ljagin und streicht mit den Handflächen über den Schreibtisch, "gibt es hier keine andere Macht als uns". Europa solle möglichst bei der Vorbereitung des Referendums helfen, die Abstimmung sei die einzige Möglichkeit, um "weiteres Blutvergießen zu verhindern".
Die Separatisten haben bereits eine grobe Vorstellung davon, wie der Stimmzettel am 11. Mai aussehen soll. Eine einzige Frage soll auf den Wahlscheinen stehen: "Erkennen Sie die Unabhängigkeit der Volksrepublik an - Ja oder Nein".
Die Formulierung ist auch einem Dilemma der Volksrepublik Donezk geschuldet: Trotz großer Unzufriedenheit mit Kiew steht dem Volk der Sinn derzeit nur bedingt nach einer eigenen Republik und einem Anschluss an Russland.
Keine klare Mehrheit für eine Abspaltung von Kiew
Nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterstützen die bewaffneten Besetzer in Donezk und Luhansk, zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Internationalen Instituts für Soziologie mit Sitz in Kiew.
Aber auch die eigenen Umfragen zeigen keine klare Mehrheit für eine Abspaltung von Kiew. Laut einer Erhebung des Donezker Politologen Kyrill Tscherkaschin würden 26,5 Prozent der Bürger von Donezk ihre Stadt am liebsten als Teil Russlands sehen. 26 Prozent stützen allerdings auch den Status quo mit einer starken Zentralgewalt.
Mit der weich formulierten Referendumsfrage soll auch die Unterstützung von Befürwortern eines Freistaates Donbass innerhalb einer föderalen Ukraine (16 Prozent) und eines gänzlich unabhängigen Staates (14 Prozent) gewonnen werden.
Das aber soll nur der erste Schritt sein. Er schließt nicht aus, dass sich Kiew noch auf eine Föderalismusreform einlässt. Donezk aber solle dann möglichst schon nicht mehr zur Ukraine gehören. Allein aber sei der Donbass nicht überlebensfähig. "Ich denke, Donezk könnte also Teil eines großen Nachbarlandes sein, das stabiler ist", sagt Ljagin diplomatisch.
Er meint natürlich Russland."
http://www.spiegel.de/politik/auslan...-a-966237.html