Militärexperte aus Russland gibt erhebliche Schwächen der Kremlarmee zu (Spiegel vom 16.08.2022)
Veraltete Sowjetpanzer gegen moderne Nato-Systeme, kaum genügend Soldaten: Der kremltreue Analyst Ruslan Puchow hat in ungewohnter Schärfe die eigene Armee kritisiert. Und skizziert, wann sie gänzlich scheitern könnte.
Seit knapp einem halben Jahr versuchen russische Truppen, die
Ukraine in einer völkerrechtswidrigen Invasion zu erobern, im
Kreml wird der Krieg bisher geschönt dargestellt. Nun hat der russische Militärexperte Ruslan Puchow in seltener Schonungslosigkeit den Erfolg der Kremltruppen kritisiert. In einem mittlerweile gelöschten Interview mit dem russischen Analyseunternehmen Prisp attestiert er der russischen Armee beträchtliche Probleme, das deutsche Fachblog "Konflikte&Sicherheit" hat das Gespräch ins Deutsche übersetzt und analysiert.
Puchow bemängelt den Einsatz veralteter Waffentechnik und zu wenige Soldaten. Auch die russische Luftwaffe arbeite viel zu unpräzise. Vor allem die Ausrüstung der ukrainischen Armee mit modernen Waffensystemen aus dem Westen mache es
Russland kaum möglich, große Erfolge zu feiern.
»Es ist wie ein Gladiatorenkampf«, sagt Puchow, »der eine kämpft mit einem Kurzschwert und einem Schild, der andere mit einem Dreizack und einem Netz. Sie sind also unterschiedlich bewaffnet«. So sei es auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine: »Die Streitkräfte der Ukraine sind größtenteils eine Armee aus Infanterie und Artillerie, und unsere Streitkräfte nutzen gepanzerte Fahrzeuge. Und die sind auch nicht mit einem modernen, wirklich wirksamen Schutz
So setze Russland in der Ukraine noch zu stark auf veraltete Panzer wie den T-90. Der sei »ein Tuning eines sowjetischen Panzers«. Laut dem Militärexperten sei es »nicht ganz fair, von diesem zu verlangen, den neuesten Panzerabwehrsystemen wie Javelin, NLAW oder Matador erfolgreich zu widerstehen«. Auch die Luftwaffe sei veraltet. So gebe es kaum genügend Präzisionsmunition und Erkennungs- und Zielgeräte, um die nach wie vor starke ukrainische Flugabwehr zu durchbrechen. Auch habe die Ukraine vom Westen viele tragbare Flugabwehrsysteme erhalten, wodurch Russland kaum effektiv operieren könne.
Am Boden macht Puchow ebenfalls einen »erheblichen Mangel« aus: die Zahl einsetzbarer Soldaten. »Die Front ist groß, und es gibt nicht genug Einsatzkräfte«, sagt der Experte im Interview. »Die Ukrainer sind in der Defensive, sie haben eine Menge Artillerie und Kampfflugzeuge. Wir hingegen müssen die Front mit einer unzureichenden Anzahl von Soldaten sowie mit anfälligen Panzern und Schützenpanzern durchbrechen.«
Dramatische Lage im Herbst
Als Pluspunkt sieht Puchow lediglich, dass der Westen bisher nur rudimentär Waffen geliefert habe. Sollten sich die
Nato-Partner jedoch entscheiden, mehr Waffen zu liefern und sollte die zahlenmäßige Überlegenheit der ukrainischen Armee durch die allgemeine Mobilmachung bestehen bleiben, dann könnte sich die Lage für Russland zum Ende des Sommers hin dramatisch verschlechtern.