«Ghetto» bezeichnete ursprünglich das
Quartier in
Venedig, das der venezianische Senat ab 1516 den Juden als Wohnbezirk zuwies. Das Wort «Ghetto» wird heute nicht nur für historische jüdische Wohngebiete verwendet, sondern allgemein für
dichtere Ansiedlungen von
ethnischen oder
religiösen Minderheiten in Städten.
Bis ins Mittelalter gab es für Juden in Europa noch keine «Ghettos» im eigentlichen Sinn. Trotz aller religiös begründeter Diskriminierungen wohnten Juden und Christen in vielen Städten Haus an Haus. Wohl gab es häufig eine Judengasse – in Zürich war es die heutige Froschaugasse –, die ihren Namen wegen der dichteren Ansiedlung von Juden bekam. Doch entscheidend ist, dass die Juden damals nicht zwangsweise und auch nicht ausschliesslich dort wohnten. So lebten im mittelalterlichen Zürich auch an der Brunn- und der Weingasse jüdische Familien.
Erst nach den grossen Pogromen von 1348/50 wurden den Juden in ganz Europa immer mehr räumliche Restriktionen auferlegt. Von vielen Stadtregierungen wurden sie ausgewiesen – so 1436 aus Zürich –, in anderen Städten durften sie sich nur an bestimmten Orten niederlassen. In Venedig beschloss der Senat 1516, dass die deutschen und italienischen Juden nur im
Ghetto nouvo im Stadtteil
Cannareggio wohnen durften. 1541 mussten auch die handelspolitisch bedeutenderen
levantinischen Juden diese Einschränkung hinnehmen: Ihnen wurde das benachbarte
Ghetto vecchio zugewiesen, das sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr verlassen durften.
Das Wort «Ghetto» verweist nach Ansicht von Historikern auf ehemalige Eisengiessereien in den Judenquartieren («gettare» = italienisch für giessen; «getto» italienisch/«ghèto» im venezianischen Dialekt = Guss). Das venezianische «Ghetto» für Juden bestand bis 1797, als Napoleon die Republik Venedig eroberte und den Juden die Freizügigkeit ermöglichte, die sie in Frankreich bereits besassen. Das Wort «Ghetto» hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts in ganz Italien für obrigkeitlich verfügte
Judenbezirke eingebürgert. Solche Zwangsansiedlungen gab es aber schon vor dem venezianischen «Ghetto». Im Deutschen Reich etwa war die 1462 eingerichtete
Judengasse von Frankfurt das erste «Ghetto»; es beherbergte über Jahrhunderte die grösste jüdische Gemeinde in Deutschland.
Das nationalsozialistische Regime nahm im Rahmen seiner Judenverfolgung im Krieg die «Ghetto»-Vorstellung wieder auf und siedelte aus Mitteleuropa deportierte Juden zwangsweise in sogenannten «jüdischen Wohnbezirken» in polnischen Städten, später auch in den eroberten Gebieten der Sowjetunion an. Aus diesen rund 200 Nazi-«Ghettos» wurden die Juden ab 1942 in die Vernichtungslager transportiert.
Vor allem im amerikanischen Sprachgebrauch wurde «Ghetto» zur Bezeichnung für Stadtteile, in denen Afro- und Lateinamerikaner wohnten. Da diese Bevölkerung meist arm und die Kriminalität in den vernachlässigten Stadtteilen hoch war und ist, hat das Wort «Ghetto» einen negativen Beiklang. Es wird heute grösstenteils abwertend für dicht besiedelte Stadtgebiete gebraucht, in denen eine ethnische oder religiöse Minderheit dominiert. Im Unterschied zu den historischen «Judenghettos» sind heute keine behördlichen Vorschriften mehr für solche ethnischen Verdichtungen verantwortlich; sie entstehen freiwillig, wenn auch oft aus wirtschaftlichen und sozialen Zwängen heraus.
In der heutigen Jugendsprache bedeutet das Wort «Ghetto» Durcheinander, Chaos und Lärmspektakel – die gleiche Nebenbedeutung hat «ghetto» auch im Italienischen.
© GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2015
https://www.gra.ch/bildung/glossar/ghetto/