Die Welt: Im Wahljahr sagen die Unternehmen, dass ihnen die demografische Entwicklung weit mehr Sorgen macht als die Euro-Krise. Ist die Furcht gerechtfertigt?
Sinn: Ja, die demografische Entwicklung ist eine große Gefahr für den Wohlstand einer ganzen Generation. Die deutschen Babyboomer sind jetzt knapp 50 Jahre alt, und die Jahrgänge danach sind immer dünner besetzt. Das merken die Firmen bereits jetzt, wenn sie Facharbeiter suchen. Wenn die Babyboomer in 15 bis 20 Jahren in die Rente gehen, werden alle Bürger die Auswirkungen der geringeren Geburtenraten spüren. Dann müssen die Steuern oder die Sozialabgaben dramatisch angehoben werden, um die Renten der Babyboomer zu finanzieren, und doch werden diese Renten weit unter dem Niveau liegen, das man erwartet hat.
Die Welt: Kann man bereits jetzt beziffern, wie stark Steuern oder Sozialabgaben steigen müssten, um den demografischen Wandel auszugleichen?
Sinn: Es gibt verschiedene Berechnungen, die alle darauf hinaus laufen, dass die Rentenbeiträge in erheblichem Umfang, vielleicht sogar um bis zu 50 Prozent, steigen müssen, wenn man die Renten nicht antasten möchte. Das trifft die Unternehmen, weil die Arbeitskosten steigen und deutsche Produkte dadurch im Ausland weniger konkurrenzfähig sind. Und es betrifft die Arbeitnehmer, deren Lebensstandard sinkt.
Die Welt: Gibt es eine Alternative zu den höheren Rentenbeiträgen?
Sinn: Natürlich, der Staat könnte auch die Renten entsprechend kürzen. So oder so kommt auf uns ein programmierter Verteilungskonflikt zu. Und dazu kommen noch die Riesenlasten des Euro-Fehlschlags: Lasten, die dadurch entstanden, dass die Staatengemeinschaft und die EZB die privaten Gläubiger der Südländer freigekauft und den Krisenländern über Jahre hinaus neuen Kredit gegeben haben, um die schmerzliche Anpassung ihrer Leistungsbilanzen zu verzögern. Und jetzt sollen ja auch noch die Altlasten in den Bilanzen der südlichen Bankensysteme auf den Rettungsfonds ESM und damit auf die Steuerzahler abgeschoben werden. Das könnte der teuerste Schritt überhaupt werden. Bundesfinanzminister Schäuble ist jetzt der Kragen geplatzt. Ob er es schaffen wird, die Vergemeinschaftung der Lasten noch abzuwehren, weiß ich nicht.
Die Welt: Sie beschreiben ein Horrorszenario.
Sinn: Ja, das ist wohl wahr. Aber der Sachverhalt ist leider allzu offenkundig.