NZZ / 30.10.2022
Halloween-Party in Südkorea endet in Tragödie - mindestens 151 Tote und 82 Verletzte
Die erste grosse Feier in Seoul seit Aufhebung der Corona-Massnahmen endete in einer nationalen Tragödie. Mindestens 151 Partygäste sind bei einem Massenauflauf ums Leben gekommen. Nach wie vor befinden sich einige Personen in kritischem Zustand.
Es hätte die grösste Party des Jahres werden sollen. Doch stattdessen endeten die diesjährige Halloween-Feier in Itaewon, dem Ausgangsviertel von Seoul, in einer nationalen Tragödie:
Mindestens 151 Personen sind nach einem Massenauflauf in der Nacht auf Sonntag ums Leben gekommen, weitere 82 zum Teil schwer verletzt worden. Bei vielen der Opfer soll es sich um junge Frauen in ihren 20ern handeln, wie ein Mitarbeiter der örtlichen Feuerwehr sagte.
In den frühen Morgenstunden wurden die Leichen in eine nahe gelegene Sporthalle gebracht, wo sie nun von den Angehörigen identifiziert werden. Die Behörden hatten jedoch bereits vorgewarnt: Die Anzahl an Toten könnte sich in den nächsten Stunden noch weiter erhöhen. Nach wie vor befänden sich einige Personen in kritischem Zustand.
Laut Augenzeugen hat sich das Unglück ereignet, nachdem die Menschenmassen in eine enge Seitengasse des Quartiers eingebogen sind. Auf Smartphone-Videos, die online zirkulierten, waren grausame Szenen zu sehen:
Dutzende junger Menschen, die leblos auf dem Trottoir liegend in blaue Plastiktüten eingehüllt wurden. «Unwirklich zu sehen, wie hier Leiche um Leiche aus einem Gebäude gekarrt werden», schreibt Bryan Pietsch, Journalist für die «Washington Post» in Seoul, auf seinem Twitter-Account.
Der lokale Fernsehsender SBS interviewte mehrere Augenzeugen, die davon berichteten, dass sie an den Verletzten auf der Strasse verzweifelte Wiederbelebungsmassnahmen durchführten, da sich die Rettungskräfte nicht rechtzeitig ihren Weg durch die Menschenmassen hätten bahnen können.
Die konkreten Umstände der Tragödie sind weiterhin unklar. Am wahrscheinlichsten gilt, dass es innerhalb des dicht aneinander gedrängten Partyvolks zu einer Massenpanik gekommen ist. Laut lokalen Medienberichten kursieren zudem Gerüchte, dass möglicherweise in einem Club Süssigkeiten verteilt wurden, die mit Drogen versetzt waren und die späteren Herzstillstände ausgelöst haben. Andere Medien berichteten von einer Bar, in die sich viele Menschen drängen wollten, weil sich dort angeblich Prominente aufgehalten haben sollen.
* Das Unglück ereignete sich im
Itaewon-Viertel, das in Südkorea sowohl als
Hort der Freiheit gilt, wie auch als
Sündenpfuhl verschrien wird:
Auf wenigen Quadratkilometern reihen sich zwischen einer US-Militärbasis und der grössten Moschee des Landes unzählige Nachtclubs, Schwulenbars und Prostitutions-Salons aneinander. Und in keiner Nacht zieht das Quartier mehr junge Menschen an als zum Halloween-Wochenende.
Dieses Jahr fand das Festival zudem erstmals wieder
ohne Covid-Auflagen statt.
Ohne Maskenpflicht und Sperrstunde hatte sich unter vielen Koreanern ein immenser Drang zum ausgelassenen Feiern angestaut, der an diesem Wochenende ein Ventil fand:
Über 100 000 Menschen zogen am Samstagabend ins Itaewon-Viertel, die meisten von ihnen Halloween-Kostüme gekleidet. «Glücklicherweise waren wir nicht unter den Menschenmassen», schreibt eine junge Frau auf ihrem Instagram-Account: «In Itaewon ist es zwar jedes Jahr extrem voll, aber dieses Jahr war es einfach nur verrückt.»
Präsident Yoon Suk-yeol, dessen Amtssitz nur wenige Gehminuten vom Unglücksort entfernt ist, hat in der Nacht auf Sonntag zwei Krisensitzungen einberufen und die umliegenden Spitäler angeordnet, Notfallbetten zu präparieren. Seouls Bürgermeister Oh Se-hoon, der sich derzeit auf Europa-Besuch befindet, hat umgehend sämtliche Termine abgesagt und den nächsten Flieger in die Heimat genommen.
Bis tief in die Nacht boten sich den Reportern am Unglücksort
surreale Szenen:
Während die Leichen in Rettungsfahrzeuge abtransportiert wurden und schockierte Passanten in Tränen ausbrachen, tanzten nur einen Steinwurf entfernt Partygäste ausgelassen in der Fussgängerzone – offenbar zu betrunken, um zu realisieren, dass sich nur kurz zuvor eine der grössten Tragödien der jüngeren Geschichte Südkoreas ereignet hat.
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