Standpunkt: Kriegsrhetorik jetzt auch von Gauck
18. Juni 2014
Wir müssen uns widersetzen
Einige Politiker in Europa reden militärischen Einsätzen das Wort, um Menschenrechte zu verteidigen. Hinter der Rhetorik verbergen sich handfeste Interessen, so die Meinung von Karl-Heinz Brodbeck. Er appelliert:
Frieden wird durch Gespräche bewahrt und nicht durch Kriegsrhetorik und Waffengewalt.
Die
Europäische Union erhielt 2011 den
Friedensnobelpreis. Darin läge eigentlich eine Verpflichtung. Doch europäische Politiker fallen in jüngerer Zeit nicht durch besondere Zurückhaltung auf. Und deutsche Politiker gehen unheilvoll voran, wie jüngst der deutsche Bundespräsident.
Am 16. Juni 2014 sagte Joachim Gauck im Deutschlandradio Kultur, auch für Deutschland gelte:
Im „Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.“
Horst Köhler, Vorgänger in seinem Amt, war nur vier Jahre vor Gaucks Forderung nach Militäreinsätzen in der Begründung sehr viel ehrlicher. Am 22. Mai 2010 sagte er im Deutschlandradio, „
dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.
Man hat ihm das vorgeworfen. Köhler trat zurück.
Vier Jahre später ist die Forderung nach Militäreinsätzen mit nebulösen und beschönigenden Begründungen in fast allen deutschen Medien angekommen. Im Bundestag verteidigen plötzlich Vertreter von Regierung und Opposition z.B. die Kriegseinsätze der Kiewer Regierung im Osten der Ukraine. Man hat sogar die Rhetorik eins zu eins übernommen: Es gehe um die Bekämpfung von „Terroristen“, die vom russischen Präsidenten Putin aufgestachelt seien. Die aus Russland kommenden Verlautbarungen sind zurückhaltender, nehmen aber auch an Schärfe zu.
Mit Lügen Kriege vorbereiten
Es war stets auch Aufgabe einer Kriege vorbereitenden Kriegsrhetorik, Anlässe zu erfinden oder gar zu inszenieren.
Ein Beispiel:
Der fortgesetzte, wenn auch bereits für die westlichen Truppen faktisch verlorene Krieg in
Afghanistan wurde mit der Begründung einer Demokratisierung, einer Befreiung der Frauen usw. propagandistisch eingeleitet.
Auch frühere „Friedensparteien“ im deutschen Bundestag stimmten, was
Afghanistan betrifft, das hohe Lied der „Menschenrechte“ für die Rechtfertigung an, deutsche Interessen „am Hindukusch zu verteidigen“. Geblieben ist von diesem Krieg nur eine Vielzahl von Toten, Verwundeten, psychisch Traumatisierten und ein failed state. Von einer Sicherung der Demokratie in Afghanistan kann keine Rede sein; die Frauen haben nicht mehr Rechte wie vor dem Kriegsbeginn versprochen, sie sind nur noch ärmer geworden.
Ähnliches ließe sich vom
Jugoslawienkrieg sagen, der aus roten und grünen Pazifisten
Kriegsbefürworter machte. Die damalige Kriegspropaganda ist heute ebenso entlarvt wie vergessen. Die Bilanz im
Irak ist noch weit düsterer und weitet sich aktuell zu einem völligen Desaster aus.
Der
erste Golfkrieg 1991 wurde durch eine
inszenierte PR-Aktion begründet, die inzwischen als
„Brutkastenlüge“ allgemein bekannt ist. Nicht anders war es im
zweiten Irakkrieg 2003:
Die USA führten angebliche
Massenvernichtungswaffen des Irak als Grund für ein militärisches Eingreifen an und präsentierten der UNO eiskalt eine „Faktensammlung“.
Außenminister Colin Powell musste sich für
die Lügen später bei der Weltöffentlichkeit entschuldigen. Weitere Beispiele sind die gescheiterte
Militäraktionen in Libyen, militärisches Eingreifen in
afrikanischen Ländern sowie die Kriege der
1960er und
1970er Jahre.
Das ist das tatsächliche Ergebnis, wenn man vorgebliche „Menschenrechte“ mit Waffen verteidigt.
Waffen besitzen eine technische Perfektion, die viele verblendet und fasziniert. Die Glorifizierung fand sich schon lange vor der
aktuellen Kriegsrhetorik massenhaft in Spielfilmen und Computerspielen. Sie pflanzte die Tolerierung von Gewalt in die Köpfe junger Menschen. Waffen haben aber nur einen einzigen Zweck: Sie sollen Menschen töten. Punkt.
Die Behauptung von Präsident Gauck, man müsse auch in Deutschland wieder
„internationale Verantwortung“ übernehmen, im Zweifel Kriegseinsätze vorbereiten und zu den Waffen greifen, blendet sowohl das eigentliche Motiv der Kriegsführung aus, wie auch das, was Waffen in Kriegen faktisch anrichten.
Der Vergleich von Militäreinsätzen in Krisengebieten mit Polizeiaufgaben, den Gauck als Begründung heranzieht, ist
unsinnig und
scheinheilig. Die Aufgabe der Polizei ist es nicht, Gegner zu vernichten, ganze Städte und Länder zu ruinieren, sondern gerade durch klugen Mitteleinsatz eine Gewaltanwendung in der Gesellschaft weitgehend zu verhindern.
Ukraine: Eskalation auch durch Sprache
Man muss bei Gaucks Äußerungen vor allem den Zeitpunkt beachten:
Die Krise in der Ukraine sowie die Anerkennung der derzeitigen Regierung unter Leitung von Arsenij Jazenjuk durch deutsche, europäische und amerikanische Politiker liefert einen brandgefährlichen Kontext.
Gaucks Äußerungen weisen aktuell vor allem auf eine mögliche, von den USA bereits angekündigte Unterstützung der Kiewer Regierung auch mit Waffen hin. Zwar hat die Ukraine inzwischen einen gewählten Präsidenten; doch das
aktuelle Parlament und die derzeitige Regierung sind
nicht demokratisch gewählt und
Ergebnis des Maidan-Putsches – wie immer man die Motivation vieler Teilnehmer daran auch bewerten mag.
In diesem
Kontext wird die
Kriegsrhetorik besonders verhängnisvoll. Im Osten dieses Landes gab und gibt es täglich auf allen Seiten – Zentralregierung und Separatisten – viele Tote. Das ist das nicht verwunderliche Ergebnis des kriegerischen Einsatzes von Waffen.
Was auffällt ist aber:
Jazenjuk kommentierte den jüngst erfolgten Abschuss einer Maschine mit 49 Toten durch die Separatisten in einer Sprache, die kaum in den deutschen, wohl aber in den internationalen Medien blankes Entsetzen ausgelöst hat. Auf der Seite der ukrainischen Botschaft in den USA war aus der Feder des durch die EU
anerkannten Regierungschefs aus Kiew zu lesen, dass die Separatisten von
Invasoren „gesponserte Untermenschen“ (subhumans) seien und man es sich nicht nehmen lasse, sie
„auszulöschen“.
„Ausmerzen alles Bösen“, nannte dies
Jazenjuk.
(Der internationale Protest hat inzwischen zur Entfernung dieser Äußerungen aus dem Internet geführt.)
Das ist
keine bloße Kriegsrhetorik mehr, das ist eine Sprache, an die man sich gerade in Deutschland nur mit Grausen erinnert. Hier zeigt sich ein
fataler Irrtum des Gedankens, man könne gleich welche angeblichen oder begründeten Rechtsansprüche – zu schweigen von Menschenrechten – durch
Waffen und
Kriege verteidigen.
Waffen sind die Verkörperung der Absicht, zu töten. Und wo immer sich bewaffnete Konflikte auftun, kommen längst überwunden geglaubte, auch rassistische Ideologien wieder an die Oberfläche. Daran lässt sich nichts beschönigen. Eine Eskalation der Sprache geht der kriegerischen Eskalation in der Rhetorik voraus.
Karl-Heinz Brodbeck ist Prof. em. für Volkswirtschaftslehre. Er unterrichtete an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (FH) Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Autor zahlreicher*Bücher zu den Themen Ökonomie und Kreativität.
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