[...]Lokalposse. Doch sie illustriert einen Trend, von dem inzwischen viele Hoteliers und Restaurantbetreiber berichten: Um den Ruf der «Weltoffenheit» ihrer Stadt zu schützen, üben deutsche Kommunalpolitiker immer mehr Druck auf das Gastgewerbe aus, politisch missliebige Personen nicht mehr als Kunden zu akzeptieren.
Ratschläge von oben
Der vorliegende Fall beginnt im Frühjahr 2016. Damals werden die 21 Mitglieder des Bezirksausschusses im Münchner Stadtteil Sendling darauf aufmerksam, dass sich im «Casa Mia», einem weithin beliebten italienischen Ecklokal, jeden Montag Mitglieder der Pegida-Bewegung treffen. Die selbsternannten Retter des Abendlandes verpflegen sich jeweils nach ihrem wöchentlichen Demonstrationszug in dem Restaurant.
Anders als in Dresden, wo die rechte Protestbewegung zeitweilig Zehntausende auf die Strasse brachte, handelt es sich in München um ein winziges Grüppchen. Trotzdem sind die Kommunalpolitiker alarmiert. Ernst Dill, Sozialdemokrat und einer von drei Rechtsextremismus-Beauftragten im Ausschuss, stattet dem Wirt Giovanni Costa einen Besuch ab. Im Gepäck hat er zwei Briefe, einen vom Ausschussvorsitzenden, einen vom Oberbürgermeister.
Im ersten Brief fordert Markus Lutz (ebenfalls SPD) den Wirt auf, den Pegida-Leuten künftig den Zutritt zu seinem Lokal zu verweigern. Er müsse diese Leute nicht bedienen, erklärt Lutz. Der zweite Brief, unterschrieben vom Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (auch SPD) und von Conrad Mayer vom Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband, richtet sich an alle Gastronomen der Stadt. Die Herren erklären, dass München bunt und weltoffen ist, anschliessend schildern sie das aus ihrer Sicht grosse Problem: «Bedauerlicherweise gab es auch 2014 wieder eine Reihe von Fällen, in denen Gaststättenbetreiber ihre Räumlichkeiten extrem rechten Gruppierungen überlassen haben –zumeist aus Unkenntnis, um wen es sich dabei handelt, und aus Unsicherheit angesichts der eigenen juristischen Möglichkeiten.»
Gastkommentarvon Marko Martin 19.11.2016, 10:00
Es folgen Ratschläge. Die Wirte sollen eine spezielle Mietvertragsklausel verwenden, um rechte Vertragspartner vor die Tür setzen zu können. Ein beigefügter Aufkleber – «München ist bunt . . . auch in Gaststätten und Hotels» –soll die gewünschte Haltung nach aussen klar und deutlich machen. Schliesslich bitten die Autoren die Wirte noch darum, ihre Speisekarten zu überprüfen. Begriffe wie «Zigeuner» (in Deutschland traditionell beliebt in Verbindung mit Schnitzeln) «sind rassistisch und passen daher nicht zu unserer weltoffenen und toleranten Stadtgesellschaft», halten sie fest.
Bier und Spaghetti
Zur Überraschung des Rechtsextremismus-Beauftragten Dill hat der sizilianische Wirt jedoch kein Einsehen. «Ich habe dem gesagt, dass ich mit Politik nichts am Hut habe», erzählt Giovanni Costa. Die Pegida-Leute hätten Bier getrunken, Spaghetti gegessen und niemanden belästigt. «Warum soll ich die rausschmeissen?» Wie das Gespräch weiter verlief – darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Der Wirt sagt, Dill habe ihm gedroht: Wenn Costa kein Hausverbot gegen die Pegida-Leute verhänge, werde er mächtigen Ärger bekommen. Dill widerspricht. Er habe nicht gedroht, er habe Costa nur seine Meinung gesagt: «Wir wollen die hier nicht.»
Der Rechtsextremismus-Beauftragte begründet seine Haltung im Gespräch mit der NZZ. Er betont, wie wichtig ihm der Ruf Münchens sei. Vor allem der Stadtteil Sendling sei traditionell «extrem ausländerfreundlich». Dills Beschreibung trifft zu. Mit nationalistischer Engstirnigkeit haben die Münchner tatsächlich nichts am Hut [...] Trotzdem stellt sich die Frage, wo die Gefahrenlage eigentlich beginnt. Oder anders formuliert: Wann wird Weltoffenheit zu Intoleranz?
Dass die Pegida-Gruppe im Lokal keine Reden geschwungen hat, lässt Dill nicht gelten. Der 71-jährige Anwalt sagt, er wolle solche Leute generell nicht an einem öffentlichen Ort dulden. München stehe als «Hauptstadt der nationalsozialistischen Bewegung» von Adolf Hitler in der Pflicht. Er erinnert auch an den NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht. «Ich sage nur: Wehret den Anfängen!»
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