Die Zahl der Asylbewerber aus Tschetschenien hat sich stark erhöht. Das erklärte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der "Welt". Demnach stieg die Anzahl der Eingereisten aus der Russischen Föderation in den vergangenen Monaten deutlich an. Im April landete Russland bei den Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern bereits auf dem fünften Platz.
Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums gaben zwischen Januar und 23. Mai 82,3 Prozent der russischen Erstantragssteller unter ethnischer Zugehörigkeit "tschetschenisch" an. Insgesamt waren das 2244 von 2728 Asylbewerbern. Von den 335 Russen, die einen Folgeantrag in diesem Zeitraum stellten, lag der Anteil der Tschetschenen sogar bei 87,2 Prozent.
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Ursachen für die erhöhte Zuwanderung sind der Bundesregierung derzeit nicht bekannt. "Konkrete Erkenntnisse zu den Gründen liegen nicht vor", erklärte das Innenministerium. Auch aus der Bundespolizei hieß es, Ursachen seien nicht bekannt. Nach hiesiger Erkenntnislage habe sich die Situation in der Russischen Föderation "nicht gravierend verschlechtert".
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Radikale Muslime, aber selbst gemäßigte Salafisten werden im Nordkaukasus regelrecht gejagt. Hinzu kommt, dass immer mehr junge Tschetschenen mit dem Salafismus sympathisieren. "Sie haben das Gefühl, dass sie in Europa als gläubige Muslime ein leichteres Leben führen können als in Tschetschenien", erklärt Irina Kosterina, Koordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Russland.
Zuletzt hätten außerdem viele ältere Tschetschenen ihr Land verlassen. Sie seien auf der Suche nach einer besseren medizinischen Versorgung. Wenn ein Bekannter zum Beispiel einen guten Arzt in Deutschland oder Belgien gefunden habe, werde dies schnell weitererzählt. Nicht zuletzt die Entwicklungen im Sommer 2015 könnten dazu geführt haben, dass mehr Menschen aus Tschetschenien kommen. "Sie sehen, dass Europa Muslime aus Syrien aufnimmt, deshalb denken sie, man wird auch Tschetschenen nehmen", sagt Kosterina. "Das führte zu einer naiven Annahme, dass der Moment für die Flucht derzeit günstig ist."