Ich sehe eine Chance von fünfzig Prozent, dass das jetzige Regime in den nächsten zehn Jahren zu existieren aufhört. Dann könnte ich heimkehren.
Aber ich sehe nicht, wie dieser Wechsel auf demokratischem, sanftem Weg geschehen könnte. Wir kennen das spanische Modell, als König Juan Carlos nach dem Ende der Diktatur als Garant des Übergangs auftreten konnte. In Russland ist keine solche Kraft in Sicht. Putin beraubte sich der Möglichkeit eines guten Ausgangs, als er sich 2011 zur Rückkehr auf seinen Posten entschied. Falls er jemanden zu seinem Nachfolger bestimmt, werden sich alle an das Schicksal Medwedews erinnern und nicht glauben, dass der neue Präsident wirklich die Macht hat. Putin hat sich selber in eine Sackgasse gebracht:
Sein Nachfolger kann nur dann der reale Machthaber sein, wenn er Putin zerstört, physisch oder politisch.
Erwarten Sie somit ein blutiges Ende des Putin-Regimes?
Mehr oder weniger. Es kann sein, dass Putin bis an sein Lebensende regiert oder es eine Palastrevolte gibt. Das Schlimmste wäre, wenn der Kampf auch die Strasse erreicht. Aber ein demokratisches Modell, in dem Putin die Macht einem demokratisch gewählten Nachfolger übergibt, sehe ich nicht.
Also kann man nur warten und hoffen?
Warten und sich vorbereiten. Es wäre sehr schlecht, wenn im Moment von Putins Abgang kein Team da wäre, das die Leitung des Staates übernehmen könnte. Zehntausende von Funktionären, die schwere Verbrechen begangen haben oder sich nicht in ein anderes Staatsmodell einfügen können, müssen dann ersetzt werden. Dafür braucht es glaubwürdige Leute, die an ihre Stelle treten können. Sonst droht eine Staatskrise.
Man muss also einen Teil der künftigen Elite heranziehen.
Worin sehen Sie Ihre Rolle? Sie haben einmal erklärt, Sie könnten als «Krisen-Präsident» dienen. Was heisst das?
Russland steht vor zwei Aufgaben. Erstens müssen die verfassungsrechtlichen Spielregeln geändert werden.
In unserem System liegt alle Macht beim Präsidenten und beim Zentralstaat. Das zu ändern, wird auf demokratischem Weg nicht gelingen, es braucht «revolutionäre» Massnahmen. Die zweite Aufgabe besteht darin, danach zu normaler, demokratischer Politik überzugehen. Es kann nicht beides von derselben Person erledigt werden. Es braucht eine Übergangsregierung und dann eine, die aus freien Wahlen hervorgeht. Die erste Aufgabe traue ich mir zu, denn ich bin ein Krisenmanager.