Assad und seine Dschihadisten
10.05.2012 ·  Baschar al Assad hat lange Terroristen unterstützt. Einig  waren sich sein Regime und die Dschihadisten in der Unterstützung des  Widerstands gegen die amerikanischen Truppen im Irak. Doch nun schlagen  die Terroristen zurück.
Von Rainer Hermann, Abu Dhabi
Einen Sturm der Entrüstung hat der syrische Dichter Adonis ausgelöst,  als er aus dem Pariser Exil den Demonstranten in seinem Heimatland  unterstellt hat, sie seien religiöse Eiferer, da sie ihre Proteste von  Moscheen aus starteten. Nicht, dass der bekannteste lebende arabische  Lyriker Sympathien für Staatspräsident Baschar al Assad und dessen  Regime hätte. Im vergangenen Sommer hatte er Assad sogar zum Rücktritt  aufgefordert. Aber Religion ist dem säkularen pansyrischen Nationalisten  ebenso fern wie Assads Baath-Regime.
Syrische Intellektuelle widersprachen Adonis umgehend. Solle man sich  denn in einem Opernhaus versammeln, fragte der Romancier Khaled Khalifa  ungehalten. In Syrien seien die Moscheen bekanntermaßen die einzigen  Orte, an denen mehr als 50 Personen zusammenkommen könnten. Der  Journalist Iyad Issa ging Adonis noch heftiger an. Dieser sei nur  deswegen nicht für die Revolution, weil er wohl glaube, dass diese in  einem Ballsaal zu beginnen habe und durch eines seiner elitären  Gedichte, die nur er verstehe, inspiriert sein müsse. Das aber, sagte  Issa stolz, sei eine Revolution des Volkes.
„Bewaffnete Terrorbanden“
Dem Damaszener Regime hat Adonis mit seiner Aussage hingegen eine  Vorlage gegeben. Denn dieses wiederholt unablässig, es gebe keine  friedlichen Proteste, sondern nur „bewaffnete Terrorbanden“, unter die  sich Al Qaida gemischt habe. Flankenschutz bekam das Regime Mitte  Februar von dem amerikanischen Geheimdienstchef James Clapper.
Er sprach bei einer Anhörung im Kongress von dem „beunruhigenden  Phänomen“, dass Al Qaida ihren Einfluss nach Syrien ausbreite. Die  Anschläge dort trügen die Handschrift der Organisation. Sollte das so  sein, trüge das Damaszener Regime eine Mitverantwortung.
Signal an die Staatengemeinschaft
Wichtiger als eine Videobotschaft des aktuellen Führers von Al Qaida,  Ayman al Zawahiri, in der er für sein Terrornetz eine Rolle im syrischen  Aufstand beansprucht hat, war dabei wohl im Februar die Freilassung Abu  Musab al Suris durch die syrische Justiz, eines der wichtigsten und  erfahrensten Ideologen des Dschihad. Seine Freilassung hatte viele  Fragen aufgeworfen. Sie sollte offenbar ein Signal Syriens an die  Staatengemeinschaft sein, dass islamistischen Terror ernte, wer den  Sturz Assads betreibe.
Der 1955 in Aleppo geborene al Suri hatte in Afghanistan mit der Leitung  von Ausbildungslagern Fronterfahrung gesammelt. Berühmt wurde er aber  durch seine umfangreiche Schrift mit dem Titel „Einladung zum  islamischen Widerstand“. Sie wurde zum Handbuch jedes Dschihadisten. In  der Schrift entwickelt er die Theorie des individuellen Dschihad, der  sich - anders als es Bin Ladin gelehrt hat - nicht mehr in eine  Organisation einfügt, sondern sich dem System anpasst, das es zu stürzen  gilt. Dass nach der Freilassung Suri die Anschläge mit „der Handschrift  von Al Qaida“ zugenommen haben, kann kein Zufall sein. Zudem hat sich  Ende Januar eine „Front zum Schutz des Volks der Levante“, die zum  Umfeld von Al Qaida gehört, großer Anschläge in Syrien bezichtigt.
Heute fließen die Waffen zurück
Assad geht dabei ein riskantes Spiel ein. Einig waren sich sein Regime  und die Dschihadisten zwar in der Unterstützung des Widerstands gegen  die amerikanischen Truppen im Irak. Heute aber, so berichtete die „New  York Times“, flössen die Waffen, die einst aus Syrien an Al Qaida in den  Irak geschmuggelt worden sind, nach Syrien zurück. Dass die Grenzen  zwischen dem Regime Assad und den Dschihadisten von Al Qaida fließend  sind, hatte sich zuvor bei der Terrorgruppe Fatah al Islam im  Palästinenserlager Nahr al Bared nahe Tripolis gezeigt. Der  palästinensische Dschihadist Shaker Abssi, der 1976 in Libyen für  Anschläge ausgebildet worden war, hat die Terrorgruppe 2005 gegründet,  nachdem er aus einer dreijährigen syrischen Haft entlassen worden war.
Ihren Kern bildeten offenbar ehemalige Mitglieder der Terrorgruppe  „Fatah al Intifada“, die 1983 mit Hilfe des syrischen Geheimdiensts zur  Eindämmung des Einflusses von PLO-Chef Yassir Arafat gebildet worden  war. Abssi dementierte zwar bis zu seiner Tötung 2007 stets, Teil von Al  Qaida zu sein. Er gestand aber, deren Ideologie des Dschihad zur  Bekämpfung des Westens übernommen zu haben. Nach seiner Freilassung im  Jahr 2005 hatte er mit dem radikalen Palästinenser Abu Khaled  zusammengearbeitet, der mutmaßlich in Damaskus im Flüchtlingslager  Yarmuk im Auftrag des syrischen Geheimdienstes Palästinenser und andere  Araber ausgebildet hat. Die syrischen Geheimdienste sollen viele von  ihnen aber nicht in den Irak geschleust haben, was sie wollten, sondern  in das Lager Nahr al Bared, um im Libanon Unruhe zu stiften.