Eulenspiegel: Warm, wärmer...
Jaja, so sind wir Deutschen: Jeder andere hätte sich über einen so schönen
Frühling gefreut, nur wir trauern vor uns hin und beklagen die "globale
Erwärmung". Ich für mein Teil kann dazu nur sagen: Das russische Projekt
eines Tunnels zwischen Sibirien und Alaska ist zwar großartig - aber wohnen
möchte ich doch lieber hier. Lieber +28 im April als -50 im Winter.
Eine interessante Aufzählung machte vor 200 Jahren Johann Peter Hebel in
seinem Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds. Diese Geschichten und
Artikel heißen übrigens nicht nur "Schatzkästlein", sie sind tatsächlich
eins. Schauen Sie doch mal im Buchladen, im Internet oder in Omas
Bücherregal nach - sie sind höchst lesenswert! Im Jahre 1808 verfaßte Hebel
diesen Beitrag:
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Warme Winter
Der warme Winter von dem Jahr 1806 auf das Jahr 1807 hat viel Verwunderung
erregt, und den armen Leuten wohlgetan; und der und jener, der jetzt noch
fröhlich in den Knabenschuhen herumspringt, wird in sechzig Jahren einmal
als alter Mann auf der Ofenbank sitzen, und seinen Enkeln erzählen, daß er
auch einmal gewesen sei, wie sie, und daß man Anno 6, als der Franzos in
Polen war, zwischen Weihnacht und Neujahr Erdbeeren gegessen und Veielein
gebrochen habe.
Solche Zeiten sind selten, aber nicht unerhört, und man zählt in den alten
Chroniken seit 700 Jahren 28 dergleichen Jahrgänge.
Im Jahr 1289, wo man von uns noch nichts wußte, war es so warm, daß die
Jungfrauen um Weihnacht und am Dreikönigtag Kränze von Veilchen, Kornblumen
und ändern trugen.
Im Jahr 1420 war der Winter und das Frühjahr so gelind, daß im März die
Bäume schon verblüheten. Im April hatte man schon zeitige Kirschen, und der
Weinstock blühte. Im Mai gab es schon ziemliche Traubenbeerlein. Davon
konnten wir im Frühjahr 1807 nichts rühmen.
Im Winter 1538 konnten sich auch die Mädchen und Knaben im Grünen küssen,
wenn's nur mit Ehren geschehen ist; denn die Wärme war so außerordentlich,
daß um Weihnacht alle Blumen blühten.
Im ersten Monat des Jahrs 1572 schlugen die Bäume aus, und im Februar
brüteten die Vögel.
Im Jahr 1585 stand am Ostertag das Korn in den Ähren.
Im Jahr 1617 und 1659 waren schon im Jänner die Lerchen und die Trosteln
lustig.
Im Jahr 1722 hörte man im Jänner schon wieder auf, die Stuben einzuheizen.
Der letzte, ungewöhnlich warme Winter, war im Jahr 1748.
Summa, es ist besser, wenn am St. Stephanstag die Bäume treiben, als wenn am
St. Johannistag Eiszapfen daran hängen.
- Wie wahr. Es grüßt herzlich
Ihr Eulenspiegel
[_Quelle_: /Neue/ /Solidarität/ Jg. 34 Nr. 19 (9.5.2007) | ISSN-0949-9989 |
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