Deutschlandfunk / 02.02.2022
Nachhaltige Klassifizierung
Worum es bei der EU-Taxonomie geht
Mit dem Regelwerk der Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ökologisches Wirtschaften fest. Streitpunkt:
Kern- und
Gasenergie werden darin als
nachhaltig eingestuft. Das Europäische Parlament hat den Weg für das
Öko-Label für die
beiden Energiequellen frei gemacht.
Die EU-Kommission stuft
Atomkraft und
Erdgas unter bestimmten Bedingungen als
klimafreundlich ein. Trotz Kritik aus einigen Mitgliedsländern und von Organisationen bleibt sie bei ihrem Vorschlag für eine EU-Taxonomie, die
beide Energiequellen als Übergangstechnologien beinhaltet. Auch das
EU-Parlament hat die Einstufung von Gas und Atom als
nachhaltig gebilligt.
Ein Einspruch gegen die Verordnung bekam im Straßburger Parlament am 6. Juli
nicht die nötige Mehrheit. Damit dürften die Taxonomie-Regeln für den Finanzmarkt ab 2023 greifen. Details dazu hatte die Kommission am 2. Februar 2022 in Brüssel vorgestellt:
Kernkraftwerke sollen als klimafreundlich gelten, wenn eine Baugenehmigung bis
2045 vorliegt und es im Land einen Plan und finanzielle Mittel für die Atommüllentsorgung gibt. Mit Blick auf Gaskraftwerke wurden die Auflagen weiter gelockert. Demnach gelten Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis
2035 mit klimafreundlicheren Gasen betrieben werden.
Mehrere Umweltorganisationen ziehen gegen die europaweite Einstufung von Erdgas und Atomenergie als „nachhaltig“ vor Gericht.
Was ist die EU-Taxonomie?
Die EU-Taxonomie ist ein Regelwerk zur Definition von Nachhaltigkeit. Es ist besonders für den Kapitalmarkt relevant: Die Taxonomie ist für Unternehmen und Investoren gleichermaßen als Maßstab zu sehen. Investoren erkennen anhand der klaren Kriterien und genauen Messgrößen des Regelwerks, ob ein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet und einen „grünen“ Beitrag leistet. Hauptdiskussionspunkt ist, ob Aktivitäten, die mit Gas- und Atomenergie zusammenhängen, ebenfalls als „grün“ einzustufen sind. Diese Bereiche hatte die EU-Kommission erst zum Ende des vergangenen Jahres in ihren Entwurf aufgenommen. Die EU-Taxonomie ist ein Bestandteil des im März 2018 vorgestellten „Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“. Den entsprechenden Rechtsakt hatte die EU-Kommission im vergangenen Jahr vorgestellt.
Welche Ziele hat die EU-Taxonomie?
Die Taxonomie soll mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken. Bereits bis 2030 soll mit dem EU-Maßnahmenpaket "Fit für 55" der Ausstoß an Treibhausgasen um 55 Prozent gesenkt werden. Als ambitioniertes Ziel des European Green Deal soll in der EU bis spätestens 2050 weitestgehend auf den Ausstoß von Treibhausgasen verzichtet werden. Das EU-Parlament hat als Teil des Klimaplans „Fit für 55“ eine Reform für die Emissionshandel-Regeln beschlossen, die den Mechanismus zum Kauf von Verschmutzungsrechten ausweitet. Die Pflicht dazu soll künftig auch für den Schiffsverkehr und den Gebäudesektor gelten. Die EU-Mitgliedsländer müssen dem Reformprojekt noch zustimmen.
Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, sind Milliarden-Investitionen von öffentlicher Hand und Unternehmen in ökologisch nachhaltige Aktivitäten notwendig. Seit Anfang Januar können in der EU auch
Investitionen in Erdgas- oder
Atomkraftwerke als nachhaltig eingestuft werden. Außerdem geht es um Berichtspflichten für Unternehmen. Hier steht im Fokus, Informationen über die Nachhaltigkeit der Aktivitäten vergleichbarer zu machen. Die neuen Berichts- und Informationspflichten sollen Anlegern den Überblick erleichtern.
Die EU-Kommission hat sechs Umweltziele in dem Taxonomie-Entwurf aufgestellt, wobei vor allem die ersten beiden – Verhinderung des Klimawandels und Anpassung an den Klimawandel – besonders wichtig sind.
Die Umweltziele der EU-Taxonomie
1 Verhinderung des Klimawandels
2 Anpassung an den Klimawandel
3 Nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen
4 Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft
5 Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
6 Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme
Unter anderem müssen Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in Zukunft deshalb mit mindestens einem von sechs Umweltzielen der EU in Einklang bringen, ohne eines oder mehrere andere Umweltziele zu beeinträchtigen, das sogenannte DNSH-Prinzip (Do No Significant Harm). Zudem müssen Mindestanforderungen in sozialen Bereichen oder bei den Menschenrechten erfüllt werden. Bisher sind nur die Kriterien für die ersten beiden Umweltziele – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – definiert. Vorschläge für Bewertungskriterien für die vier verbleibenden Ziele liegen zwar schon vor, Experten gehen aber davon aus, dass ein sogenannter delegierter Rechtsakt dazu erst in einigen Monaten vorliegen wird. Die EU-Taxonomie tritt deshalb erst mal nur in Teilen in Kraft.
Wen betrifft die EU-Taxonomie?
Verbunden mit der Taxonomie ist eine Offenlegungsverordnung (sustainable finance disclosure regulation). Finanzinvestoren müssen offenlegen, inwieweit sie in Unternehmen investiert haben, die nach EU-Taxonomie als nachhaltig klassifiziert sind. Dann können auch sie ihre
Finanzprodukte als grün klassifizieren.
Für Konsumentinnen und Konsumenten bedeute dies, dass
Atom und
Gas künftig auch in grünen, nachhaltigen
Fonds auftauchen könnten, erklärte Alexander Bassen, Professor für BWL an der Universität Hamburg, im Deutschlandfunk.
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